Lorcher Bodental-Steinberg Riesling 2007

Der Wein ist glanzhell. Einige kleine Perlen zeigen sich an seiner Oberfläche. Zunächst riecht der Wein recht intensiv mit einer Betonung von kräutrigen und pflanzlichen Komponenten. Das Schwenken erhöht nur die Intensität. Der Geruch nach Minze, Moos und nassem Stein bleibt vorhanden, vermischt mit etwas Ananas.

Am Gaumen ist die Säure sehr präsent aber gut integriert. Erst spät zeigt sich in einer gewissen Saftigkeit auch die Frucht des Weins. Dann zeigt sich auch hier die Ananas. Zuvor betont er insbesondere seine würzigen Noten. Der Nachhall ist eher kurz, bevor mit ordentlicher Verzögerung dann doch ein mineralisches Nachbeben kommt. Insgesamt besitzt der Wein einen eher leichten Körper.

Ein easy-going Wein. Keineswegs ein einfacher 0815-Wein, eher so etwas wie Terroir für Anfänger. Der Wein macht viel Spaß, läßt sich sehr gut trinken, was wahrscheinlich auch die größte Gefahr darstellt, denn er kann ganz schnell weg sein, weil er eben für jeden etwas bietet. Für denjenigen, der den Wein eher beiläufig trinkt, ist die Süffigkeit und die Saftikeit sehr angenehm, während sich der Weinliebhaber am Geruch und der Mineralik erfreut. Auch der herabgesetzte Preis, zu dem ich ihn erworben habe, qualifiziert ihn als Partywein.

Herkunft: Deutschland -Rheingau – Lorcher Bodental-Steinberg
Jahrgang: 2007
Rebsorte: Riesling
Erzeuger: Laquai
Ausbau: QbA trocken
Alkohol: 11,5%

Kalmit Riesling 2005

Der Wein ist glanzhell mit grünen Reflexen.  Bereits der anfängliche Geruchseindruck ist ziemlich intensiv mit Aromen von Graipefruit und Tabak. Nach dem Schwenken wird das Bukett schwächer. Die Graipefruit geht zurück und wird von Zitrusnoten beglietet. Dazu kommt etwas Feuerstein ins Spiel.

Die Graipefruitnoten finden sich am Gaumen wieder. Sie werden von einer leichten Säure begleitet. Insgesamt wirkt der Wein eher rustikal als filigran. Im Nachhall kommt die Gärkohlensäure ins Spiel und sorgt für ein verspieltes Prickeln, das ordentlich lang anhält. Neben der Graipefruit scheint mir auch etwas Maracuja mit im Spiel zu sein.

Der Wein hat sich leider nicht zum Besten entwickelt. Sicher, er ist durch und durch solide, und die Frucht ist auch noch sehr präsent, aber er wirkt mir insgesamt zu eintönig auf die Graipefruit festgelegt. Dennoch ist das ein guter Wein mit einem schönen Etikett, das mir aber eher zufällig aufgefallen ist, da der lachende Affe ganz schwach imprägniert ist. Vielleicht zu einem kräftigen Manchego.
Ich hatte den Winzer Kranz ja bereits vor den allgemeinen Lobeshymnen der Weinkritik für mich entdeckt, muß jedoch einmal kritisch anmerken, daß mir seine Weine insbesondere bei Messen und Weinproben gefallen haben. Solo getrunken konnten sie meine (hohen) Erwartungen eigentlich nie erfüllen.

In diesem Fall kann ich nachträglich hinzufügen, daß der Wein durch Luft noch sehr viel gewinnt, insbesondere auch an Komplexität und Mineralität.

Herkunft: Deutschland – Pfalz – Kalmit (bei Ilbesheim)
Jahrgang: 2005
Rebsorte: Riesling
Erzeuger: Kranz
Ausbau: Spätlese trocken
Alkohol: 13%

Bundestagswahl 2009 – die letzte

Der aufmerksame und ausdauernde Leser mag sich ziemlich sicher sein, was ich gewählt habe. Ich weiß jetzt nicht, ob es ihn arg enttäuscht, wenn ich mein Wahlgeheimnis dermaßen lüfte, daß ich nicht SPD gewählt habe. Der aufmerksame und ausdauernde Leser kann sich sicher nicht vorstellen, daß ich die zukünftige Regierung gewählt habe. Und hierbei irrt er nicht. Als überzeugter Wechselwähler innerhalb des links-liberalen Lagers kommt diese Position für mich tatsächlich nicht in Frage.

Wenn ich nun meine Wahlkommentare einstelle, geschieht dies insbesondere deswegen, weil die Wahl vorbei ist. Wir, die wir gewählt haben und noch vielmehr ihr, die ihr nicht gewählt habt, müssen das Wahlergebnis akzeptieren. Daß die Wahlbeteiligung bei gerade mal 70,8% lag und damit jeder Vierte von Euch nicht gewählt hat, finde ich besonders erschreckend. Gerade die Nichtwähler sind doch dafür verantwortlich, daß sich ein „Weiter So.“ und ein „Vorwärts in den Abgrund“ in der Politik halten kann. Wem die Zahl 70,8% noch nicht genug erschreckt hat, dem kann ich mit weiteren Zahlen dienen. Während in Hamburg der Schnitt erreicht wurde, lag die Wahlbeteiligung in meinem Stadtteil bei 60,8% und in Billbrook bei gerade einmal 40,6%, was den 42,2% aus meinem Wahlbezirk ziemlich nahe kommt.

„Mehr Demokratie wagen.“ hieß es einmal bei Brandt, und er meinte damit die Abkehr von einem obrigkeitsorientierten Denken und das Kappen der letzten autoritären Institutionen der BRD. Heutzutage scheinen sich die Bürger immer weniger bereit Demokratie zu wagen. Sie trauen sich nicht einmal mehr zur Wahl. Eine APO existiert auch nicht mehr, seitdem die Demonstrationskultur erschlafft ist und verballhornisiert wurde. In den letzten Jahren hörte man Philosophen und wissenschaftliche Politologen von der Demokratisierung durch das Internet faseln, doch ich fürchte diese Utopie existiert nur in ihren Träumen.

Das Internet ist ein weiteres Medium, dem es allenfalls gelingt, die ohnehin Interessierten noch besser mit Informationen zu versorgen. Gleichzeitig ist es aber auch ein weiteres Medium, das für Ablenkung und Zerstreuung sorgt. Es ist wirklich eine der Sachen, die mich am Nachdenklichsten stimmen, daß seit dem Umzug von Bundestag und Regierung in die Hauptstadt nach Berlin eine viel größere Transparenz in der Politik eingekehrt ist und der Bürger viel besser über die Skandale der Republik informiert wird, während gleichzeitig die Konsequenzen aus diesen Enthüllungen minimal sind. Die Barschelaffäre wäre heutzutage keine Affäre mehr, sondern ein nettes Anekdötchen, für das sich Uwe Barschel einmal kurz und reumütig entschuldigt hätte und anschließend weiter gemacht hätte und noch schlimmer, trotzdem wieder gewählt worden wäre. Die lethargische Gesellschaft, die dies mit sich machen läßt, und es durch sein Nichtstun sogar unterstützt, macht mich fast noch betrübter als die dreistdummen Politiker. Ob dies ein Zeichen von Dekadenz oder ein Zeichen von Dummheit oder noch etwas anderes ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist das daran Verzweifeln auch nur ein Zeichen meiner Arroganz.

Wenn ich à la Schröder in meinen letzten beiden Kommentaren etwas nachgetreten habe, tut mir dies natürlich nicht leid. Ich beabsichtige auch zukünftig, nicht die Klappe zu halten und die Politiker zu beschimpfen, ungeachtet davon, ob sie in der Regierung oder in meinem Flügel der Opposition sitzen. Ich werde also auch zukünftig meinen unabhängigen unparteiischen Senf zu aktuellen politischen Fragen abgeben, allerdings sicher nicht mehr so gehäuft wie vor der Wahl – schließlich ist dies „noch ein Wein-Blog“. Das Label unter dem ich dies tue, steht auch noch nicht fest. Eine erste Idee lautet „Legislaturperiode 09-??“, eine andere Möglichkeit wäre „Die Zuckerpuppe von der Schwarzgeldtruppe – Episode 2.0“, aber das wäre geklaut vom Starkbieranstich auf dem Nockerlberg. Für Vorschläge bin ich auf jeden Fall offen, solange nicht „Ähngieeeeeee“ im Titel vorkommt, schließlich ist immer noch nicht endgültig geklärt, ob Mick Jagger den Song nur geschrieben hat, um David Bowies damalige Frau ins Bett zu kriegen. „Iiiiimaaaahn“ wäre da heutzutage wohl doch eindeutiger.

Sollten keine guten Vorschläge eingehen, und mir auch nichts Besseres einfallen, kann ich mich natürlich immer noch an den aktuellen Themen orientieren, etwa „Gesundheitsfond geschlossen – Krankenhäuser auch“.

Solltet Ihr an dem Treiben der Politiker in den nächsten Jahren doch zu sehr verzweifeln, möchte ich Euch das Motto der Website ins Gedächtnis rufen. Kein Alkohol ist auch keine Lösung.

Riesling vom Rotliegenden 2005

Der Wein hat eine goldgelbe Farbe. Die erste Nase ist bereits recht intensiv. Ich rieche Pfirsich, Karamel und erdige Noten. Die zweite Nase hat eher etwas von einem Veltliner. Minze, Paprika und erneut erdige Noten bestimmen das Bukett.

Der würzig mineralische Nachhall mit deutlich salzigen Anklängen ist sehr schön. Zuvor läuft der Wein mit einer ordentlichen Dichte durch den Mund, gibt dabei eine leichte Säure preis, während die Frucht eher schwach wirkt. Dafür erneut eine sehr feine Würze.

Der Wein ist geeignet für ein Kartoffelsoufflet. Leider ist er nicht mehr ganz so grandios, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Er wirkt etwas ruhiger und weniger kräftig.

Herkunft: Deutschland – Pfalz – Birkweiler
Jahrgang: 2005
Rebsorte: Riesling
Erzeuger: Ökonomierat Rebholz
Ausbau: Spätlese trocken
Alkohol: 13%

Bundestagswahl 2009 – die 11.

Eine weitere Wahlanalyse zu machen, bringt eigentlich nichts. Schließlich haben die Profis schon so viel darüber geredet, daß es nur noch Zufall sein kann, wenn man etwas nennt, was sie noch nicht erwähnt haben. Ich habe ihnen gegenüber den Vorteil, daß ich niemandem nach dem Maul reden muß und sie alle beleidigen kann, was ich dann auch sehr gerne tuen will.

Fangen wir an mit der christdemokratischen/christsozialen Legende des barmherzigen Samariters, welcher trotz kältester Temperaturen, für die FDP noch seinen Mantel teilt und ihr seine Zweitstimme gibt. All die Hinweise von CDU und CSU auf das Stimmensplitting gingen am Kern der Sache vorbei.
Anders als in der Vergangenheit mußten die Unionswähler diesmal nie ernsthaft bangen, daß die FDP die 5%-Hürde nicht überspringen würde. Von Leihstimmen an die FDP kann daher nicht die Rede sein. Die FDP-Wähler wollten auch wirklich die FDP wählen! Oder sie betrachteten die FDP zumindest als das kleinste Übel. Daß die FDP-Wähler, eine Regierung von Frau Merkel wollten und ihre Stimme gesplittet haben, dürfte kaum zu bestreiten sein, doch für diese Leihstimme bei der Erststimme hätten sich die Unionspolitiker, insbesondere die Inhaber der 21 Überhangmandate, eigentlich bedanken müssen. Daß sie stattdessen versuchten, diese Wähler zu vereinnahmen, deutet für mich daraufhin, daß die Union die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hat oder erkennen will. Daß auch sie einen Erosionsprozeß durchlebt und ein für eine Volkspartei sehr schlechtes Ergebnis einfährt, will sie offensichtlich noch nicht wahrhaben. Die Argumente der Union erinnerten mich sehr an die Sprüche nach der Bayernwahl 2008, als die CSU-Granden, das schlechte Ergebnis mit einem den Wähler verarschenden Gefasel von der Bandbreite des bürgerlichen Spektrums schönzureden versuchten.

Vielleicht ist das Ergebnis der CSU von „nur“ 42% ja eine der positiven Aspekte. Es wirkt fast so, als befreie sich der Freistaat von seiner Sonderrolle und komme langsam in einer liberalen Bundesrepublik an.

Besonders enttäuscht hat mich am Wahlabend der Erfolg der CDU in Schleswig-Holstein. Wer einen Carstensen oder einen Koch wählt, soll bitte nicht so heuchlerisch sein zu glauben, er würde einen Bush, einen Berlusconi, einen Haider oder einen Le Pen nicht wählen. Er würde! Und wahrscheinlich viele noch Schlimmere auch. Aber ich vergaß, wir haben es mit der seit Adenauer vom rheinischen Katholizismus geprägten CDU zu tun. Heucheln ist ihnen eine zweite Haut geworden. Solange es die CDU nicht aus eigener Kraft schafft, Leute wie Carstensen und Koch von der politischen Bühne zu verweisen, wird sie für mich unwählbar bleiben. Doch es stimmt mich sehr traurig, daß diese linken Scharlatane (link nicht links) noch immer ihre Wähler und außerdem Koalitionspartner finden. An diesen Tagen scheint mir die Diktatur des Terrorregimes von KeinAlkoholistauchkeineLoesung.de doch eine durchaus interessante Alternative, von der alle profitieren könnten. Die ersten Maßnahmen wären auch schon feststehen: Abschaffung der Sektsteuer und Befreiung des Weins von der Mehrwertsteuer.

Na ja zurück aus der traurigen politischen Landschaft meines Nachbarbundeslandes zum Berliner Kabarett. Nebenbei, ich glaube ja, daß der Niedergang des politischen Kabaretts damit zu tun hat, daß die Phantasie der Kabarettisten so etwas wie die Realität sich gar nicht ausdenken könnte.
Ähnlich ging es mir um 18 Uhr als die erste Prognose bekanntgegeben wurde. Ja, ich hatte erwartet, daß es eine knappe Sache zwischen Schwarz-Gelb und dem Rest würde und mich inhaltlich, wenig begeistert, auf eine Fortsetzung der großen Koalition eingestellt. Ich hatte auch erwartet, daß die SPD nicht gut abschneiden würde, doch das was dann als Prognose veröffentlicht wurde, konnte ich selbst bei der ersten Hochrechnung kaum glauben. Natürlich hatte ich die Umfragen der vergangenen Wochen und Monate zur Kenntnis genommen, doch wahrscheinlich ging es der SPD-Spitze genauso wie mir, ich hatte nicht erwartet, daß es wirklich so schlimm kommen würde. Sicher an 30% habe ich nicht geglaubt, doch 22-23%, das ist derart bitter, daß mir dafür noch immer die Worte fehlen. Im Nachhinein muß ich so etwas wie Bewunderung für die rhetorischen Fähigkeiten von Steinmeier bekunden, denn er hat unglaublich viele Worte für das Ergebnis gefunden, auch wenn sie an mir, der immer noch fassungslos vorm Fernseher saß, vorbei gerauscht sind.

Wenn man analog zu CDU/CSU die Ergebnisse von LINKE und Grüne als linkes oder soziales Spektrum für sich vereinnahmen würde, täte das Ergebnis ja gar nicht so schlecht aussehen, doch dies verdeutlicht vielleicht ein Problem der Linken für die Zukunft. Ähnlich wie in Italien steht der konservative Flügel recht geschlossen zusammen, während die Linke dabei ist zu zersplittern. Für viele in der SPD wird, wie ja auch das Scheitern in Hessen gezeigt hat, eine Koalition mit der LINKE eine nicht gangbare Lösung sein, und für viele SPD-Wähler wird eine Kooperation der SPD mit der LINKE ein Grund sein, ins konservative Lager (zurück) zu wechseln, wie Hessen ja überaus deutlich gezeigt hat, wobei das persönliche Verhalten der Spitzenkandidatin hier sicher zusätzlichen Treibstoff für einen Wechsel bot. Gleichzeitig ist für viele SPD-Wähler eine an der Mitte und an einer realistischen, zeitgemäßen Politik ausgerichtete SPD eine Partei, die ihre Wurzeln verloren hat, und sie wechseln zur LINKE. Ein Zusammenkommen von LINKE, SPD und Grüne kommt mir auf Landesebene immer noch befremdlich und auf Bundesebene unmöglich vor.

Die SPD steckt in der Zwickmühle. Einerseits rückt die CDU mehr zur linken Mitte, um sich gegenüber der FDP abzugrenzen. So drückt die CDU die SPD aus der linken Mitte. Andererseits greift der SPD die LINKE die Wähler auf der linken Seite ab und zieht die SPD nach links.

Ich fürchte, daß die SPD sich daher in der nächsten Legislaturperiode deutlich nach links bewegt, so daß die Grünen bei der nächsten Wahl die einzige Partei des linken Flügels sein werden, die eine realistische Politik betreiben können. Dabei kommt die Befürchtung hoch, daß den Grünen dann eine Jamaika-Koalition auf einmal näher ist als Rot-Rot-Grün.

Das zwar positive aber gleichzeitig auch belanglose Abschneiden der Grünen verdeutlicht wohl auch ihre Sonderrolle. Die mit der Agenda 2010 unzufriedenen SPD-Wähler wollen nicht zu den mitschuldigen und ebenfalls der Mitte verpflichteten Grünen wechseln sondern zu den radikalen Spinnern der LINKE. Wenn die Grünen dem linken Flügel einen Dienst erweisen wollen, müssen sie versuchen die Erosion der SPD in der Mitte aufzufangen. Diese Wähler muß sie auffangen, bevor sie zu CDU und FDP wechseln oder der Wahl fern bleiben. Dies ist für die Grünen wahrscheinlich auch das realistischte Wachstumsszenario.

Es wird dem ausdauernden Leser nicht entgangen sein, daß mir der Wahlausgang überhaupt nicht gefällt. „Warum?“, mag er fragen. „Wir hatten doch schon 16 Jahre Schwarz-Gelb, ohne daß die außer der Schwarzgeldaffäre und dem damit verbundenen Verrat am Grundgesetz etwas Schlimmes gemacht hätten.“ Das Schlimme ist erstens, daß sie damals wirklich nichts gemacht haben, insbesondere nichts um die spätestens Mitte der 90er absehbaren negativen Folgen der Einheit für die Sozialsysteme Deutschlands abzumildern. Es bedurfte der Agenda 2010 um hinter Schwarz-Gelb aufzuräumen.

Doch ich will gar nicht in der Vergangenheit wühlen, sondern in meine Kristallkugel schauen. „Die Politik soll sich wieder an den Leistungsbringern orientieren und diese belohnen.“ So heißt es. Dabei bleibt die Frage, wer denn die Leistungsbringer sein sollen. Früher nannte man sie Besserverdienende, doch das erwies sich als rhetorisches Eigentor.
Deswegen umwarben bei dieser Wahl alle Parteien außer der LINKE die sogenannte Mitte und umtanzten sie wie das goldene Kalb. Zurecht haben sich viele SPD-Wähler an dieser Stelle wohl gedacht, wer noch an die Unterschicht und die Schwachen der Gesellschaft denkt. Auch deshalb mußte sich die SPD immer wieder der kritischen Frage nach der sozialen Gerechtigkeit stellen.

Und genau an dieser Stelle kommt ein häßlicher Sprung in meiner Kristallkugel. Gefühlt sehe ich Deutschland momentan an einem Scheidepunkt. Gefühlt beobachte ich, daß der Aufstieg aus der Unterschicht in die Mitte immer seltener wird, während der Abstieg aus der Mitte in die Unterschicht häufiger wird. Neben der Verschlechterung der sozialen Bewegungsdynamik scheint in der Unterschicht eine enorme Resignation und Frustration eingekehrt zu sein. Während viele der SPD-Granden beachtliche Aufstiegskarrieren hinter sich haben und stets danach gestrebt haben, sich aus ihrem ursprünglichen Milieu hochzuarbeiten, wird diese Chance heutzutage in der Unterschicht scheinbar nicht mehr wahrgenommen.
Ich bin der naiven Überzeugung, daß Deutschland immer noch ein Land ist, in dem für jeden, der sich bemüht, der sich abrackert und der nicht komplett auf den Kopf gefallen ist, echte Aufstiegschancen bestehen. Die Einführung von Studiengebühren, Rückzahlung des Bafög etc. haben diese Aufstiegschancen sicher verschlechtert, und es muß der Rot-Grünen Regierung vorgeworfen werden, daß das Fördern des von ihr zurecht propagandierten Fordern und Fördern immer noch nicht richtig greift, doch unter Schwarz-Gelb habe ich nicht die Hoffnung, daß hier angesetzt wird. Eine Politik, die sich an den „Leistungsträgern“ orientiert, ist dazu geeignet Frustration und Resignation bei denen, die schwerst schuften und trotzdem auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind, zu verstärken. Meine Kristallkugel sagt mir, daß sich die soziale Schere in den nächsten 4 Jahren weiter ausweitet. Die Kristallkugel sagt vier Jahre verlorene Zeit voraus, in denen Jugendliche aus den Unterschichten weiterhin nicht abgeholt werden und ihnen keine Perspektive aufgezeigt wird. Das ist der wesentliche Grund wieso ich echte Angst vor vier Jahren Schwarz-Gelb habe. Die 16 Jahre unter Kohl kamen zu einem Zeitpunkt als es Deutschland richtig gut ging und wir leben konnten wie die Maden im Speck.

Jetzt sind Lösungen für die Unterschicht gefragt. Wie schafft man es auch den Hoffnungslosen eine Perspektive zu geben. Darauf hat noch kein Politiker eine Antwort gegeben. Die geforderte Erhöhung von Hartz IV wirkt an dieser Stelle fast so höhnisch wie der absurde Spruch „Reichtum für Alle“. „It’s not just the economy – stupids“ möchte ich den Politikern jeder Partei, aber insbesondere denen der zukünftigen Regierung, die sich den alten Spruch besonders zu eigen gemacht haben scheinen, zurufen, doch meine Stimme ist vermutlich zu leise, um bei ihnen Gehör zu finden.

Meine abschließende Prognose für die nächsten vier Jahre ist daher, daß die Auswandererreportagen ihre Einschaltquoten massiv ausweiten. Wen dies frustriert, dem sei das Motto der Website nahe gelegt: „Kein Alkohol ist auch keine Lösung.“ Cheers!

Bundestagswahl 2009 – die 10.

Das Volk hat gewählt, und die Ergebnisse stehen fest.

Für KeinAlkoholistauchkeineLoesung.de stelle ich bedauernd und mit großer Sorge fest: Das Wahlziel wurde ganz klar verfehlt. Tatsächlich ist es 6 Parteien gelungen, die 5%-Hürde zu überspringen und in den Bundestag einzuziehen. Daß das Verfehlen dieses großen Ziels nicht an den Lesern gelegen hat, ist mir selbstverständlich bewußt. Für Euren unermüdlichen Einsatz, der Euch selbst in die Altersheime der Republik geführt hat, wo Ihr den dortigen Bürgern zur Hand gegangen seid, damit diese zittrigen Finger nicht aus Versehen das Kreuz an der falschen Stelle machen, möchte ich mich daher an dieser Stelle ganz ganz herzlich bedanken.

Ohne Eure Begeisterung und Euren Zuspruch hätte wahrscheinlich auch ich Zweifel an der Erreichbarkeit dieses Ziels gehabt. Doch das Glitzern in Euren Augen und das abwechselnde enthusiastische Skandieren der Parolen von MLPD, Rentner- und Familienpartei hat mich immer wieder aufgebaut und an eine gute Zukunft für unser Land glauben lassen.

Mit großer Sorge sehe ich nun die Tortendiagramme der Sitzverteilungen und das, was  mich beunruhigt ist nicht, daß die eine Hälfte der Torte bereits weggegessen ist, schließlich wäre der wissenschaftlich korrekte Begriff „grafisch modifiziertes Halbkreisdiagramm“.  Nein meine große Sorge rührt daher, daß ich sehe, daß die Parteien trotz all unserer Bemühungen noch immer in der Gesellschaft verankert sind. Der Anteil unserer Fraktion, der Sonstigen, mit 6% spiegelt nicht die Eindrücke wieder, die ich in den letzten Jahren auf den Marktplätzen der Republik gehört habe.  Dort habe ich immer nur wüste Beschimpfungen der Politiker und der Parteien gehört, neben denen ich mich wie ein Waisenknabe anhöre. Das Ziel, die Parteien zu bestrafen, war bei all meinen Gesprächspartnern unmißverständlich.

Während die Politiker noch nach den Gründen für das Abschneiden ihrer Parteien suchen, bin ich schon weiter. Die intensive Ursachenforschung für das doch deutliche Verfehlen des Wahlziels ist eindeutig:

Die Briefwähler sind schuld!

Sie hatten einfach nicht die Geduld am Briefkasten darauf zu warten, daß ein anderer Briefwähler vorbeikommt und diesen zu fragen, was er gewählt hat und dann, ihm dankend, das eigene Kreuz eine Zeile tiefer zu machen. Diese Schmarotzer sollten sich wirklich einmal überlegen, was sie unserem Land und unserer Demokratie schuldig sind. Weder sind sie bereit, ihre Zeitplanung darauf einzurichten, am Wahltag ins Wahllokal zu gehen und dort mit ihrem Vor- und Nachwähler ihre Zweitstimme abzustimmen, noch schaffen sie es, bei strömenden Regen durchschnittlich 27 Stunden auf den nächsten Briefwähler an ihrem Briefkasten zu warten.

Da sich das unverantwortliche und eigensinnige Verhalten der Briefwähler wahrscheinlich nicht ändern läßt, werde ich vor der nächsten Wahl gut überlegen, entsprechende Schritte vorzuschlagen, um die erfolgreiche Abgabe der Stimmzettel per Briefwahl zu verhindern. Spontan denke ich an Aktionen, wie das Absägen aller Briefkästen ab dem Zeitpunkt des Versands der Wahlunterlagen. Sitzblockaden vor den Postfilialen erübrigen sich, da die Post bis in 4 Jahren ohnehin ihre letzte Filiale geschlossen hat.

Wie Ihr seht, liebe Mitstreiter, bin ich nicht gewillt, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern denke an die Zukunft und daran, wie wir unsere Position stärken können. Auch wenn wir diesmal nicht erfolgreich waren, werde ich weiterhin meine Stimme erheben gegen alles, was mir nicht paßt und bitte Euch mich auch weiterhin auf diesem Kurs zu begleiten.

Ich habe bereits mein Versäumnis eingestanden, an die Briefwähler gedacht zu haben, dieses elende undemokratische Gesindel, doch das ist leider nicht genug. Meine Wahlanalyse hat eine zweite schwerwiegende Fehleinschätzung zu Tage gebracht. Der Aufruf zum Stimmensplitting, Erststimme für den Kandidaten Eurer Wahl und Zweitstimme in Abhängigkeit von dem, was der Vordermann gewählt hat, war möglicherweise für einige Wähler doch zu kompliziert. Von dem unverständlichen Politikerkauderwelsch im Wahlkampf derart verwirrt, daß sie nicht mehr wußten, was links und was rechts ist, haben sie einfach beide Kreuze in einer Zeile gemacht, was den großen Parteien natürlich in die Hände gespielt hat. Ich verspreche, daß ich für die nächste Wahl auch eine Lösung für diese minderbemittelten Wähler finde. Am besten wäre es wahrscheinlich, für sie eine Anleitung herauszugeben, wie sie ihre Stimme ungültig machen, aber das muß mein Kompetenzteam zunächst noch einmal durchleuchten.

Euch rufe ich zu. Seid stolz auf das Erreichte. Zu den offensichtlichen 6% dürfen wir durchaus auch je rund 4% der 6 im Parlament vertretenen Parteien als unsere Wähler betrachten. Damit kommen wir bereits in diesem Jahr auf 30% der abgegebenen Stimmen und sind bereits jetzt die stärkste Partei, auch wenn wir leider doch im Bundestag sitzen. Dennoch sind die binnen so kurzer Zeit erreichten 30% für mich nicht nur ein Ansporn, es beim nächsten Mal wieder zu versuchen, sondern auch ein Zeichen, daß wir auf einen guten Weg sind. Deshalb rufe ich Euch zu: „Weiter so! Laßt uns nicht aufgeben! Wir werden das Diktat der Parteien durchbrechen!“

Ich danke Euch.

Bundestagswahl 2009 – die 9.

Das Projekt Bundestagswahl konnte ich in den letzten Tagen leider nicht mehr so forcieren, wie ich es mir gewünscht hätte. Der Berlin-Marathon und andere Aufgaben haben mich doch in Beschlag genommen, so dass mir leider die Zeit gefehlt hat, die Lage der Nation zu erörtern. Hinzu kam natürlich, daß mir unsere Politiker keine Steilvorlagen gegeben haben, die ich routiniert verwandeln konnte.

Dies soll mich selbstverständlich nicht daran erinnern, mich ab morgen 18:00 im Katzenjammer zu ergehen allen anderen Wählern außer mir wüste Krankheiten zu wünschen und die Politiker für ihre Engstirnigkeit und Dummheit zu beleidigen. Die vorigen Artikel mögen für dieses Vorhaben als Fingerübung betrachtet werden.

Da ich mir schon länger sicher bin, wie ich meine Stimme verschenke, möchte ich die immer noch Unentschlossenen noch einmal auf zwei Services aufmerksam machen. Neben dem bekannten Wahl-O-Mat (bei dem die CDU sich bei der Frage nach kostenlosem Erststudium tatsächlich auf einer neutralen Position eingestuft hat) auch den Abgeordnetencheck, für diejenigen, die noch keinen persönlichen Kontakt mit den Kandidaten ihres Wahlkreises hatten.

Die offizielle Wahlempfehlung von KeinAlkoholistauchkeineLoesung.de lautet: Morgen zwischen 8 und 18 Uhr das nächstgelegene Wahllokal aufsuchen, einen Stimmzettel abholen, ein Kreuz in der linken Spalte machen und ein Kreuz in der rechten Spalte machen. Dabei nach Möglichkeit nicht die rechten Parteien und ihre Kandidaten wählen. Vom ursprünglichen Plan den Vorwähler zu fragen, wo er sein Kreuz in der rechten Spalte gemacht hat, und das eigene eine Zeile tiefer zu machen, sehe ich keineswegs ab, aber da die täglichen Leserzahlen noch immer nicht die 10-Mio-Marke geknackt haben,beurteile ich die realistische Erfolgschance dieses Vorhabens mittlerweile etwas kritischer.

Piepsorter Michelsberg Riesling 2008

Der Wein ist strohgelb. Anfangs duftet er recht verhalten leicht floral. Nach dem Schwenken kommen erdige Noten und ein leichter Graipefruitton hinzu.

Am Gaumen ist der Wein ziemlich unauffällig. Die Säure ist präsent und noch das Auffälligste aber zugleich nicht negativ aufdringlich. Eine leichte Würze leitet in den Nachhall über, der eine ordentliche Länge besitzt.

Das ist ein sehr solider Wein, ohne irgendwelche Schwächen, aber auch ohne erkennbare Stärken.Er schafft es, eine gewisse Gebietstypizität zu transportieren. Zum Flammkuchen.

Herkunft: Deutschland – Mosel – Piepsorter Michelsberg
Jahrgang: 2008
Rebsorte: Riesling
Erzeuger: St. Michael Weinkellerei
Ausbau: QbA trocken
Alkohol: 11,5 %

Die Nacht der guten Weine

Bei der Nacht der guten Weine denkt wahrscheinlich jeder diesen bescheuerten Titel habe ich mir einfallen lassen. Weit gefehlt! Es handelt sich um eine Aktion des deutschen Weinfachhandels in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Weininstitut. In ganz Deutschland nahmen Weinhändler an der Aktion teil und veranstalteten Events, um mehr Freunde des Alkohols für den Wein zu gewinnen. In Hamburg z.B. die Weinlounge Hamburg in Hoheluft die Cocktails mit Schaumwein kombinierte. Ich entschied mich dann doch für eine klassische Weinverkostung bei Pinot Gris am Winterhuder Marktplatz.
Unter fachkundiger und enthusiastischer Leitung verkosteten wir eine ganze Reihe von Weinen, bei denen es kaum Ausfälle gab. Auch wenn sich die Probenleitung leider bevor ich kam von 50 auf 20 zu verkostende Weine herunterhandeln ließ, wurden es mit 26, zu denen ich mir Notizen gemacht habe, dann doch so viele, daß ich mich auf die Highlights beschränken möchte. Wenn ich diesmal Punkte am meine Verkostungsnotizen schreibe, so besitzen diese aufgrund der Flüchtigkeit des Eindrucks natürlich eine noch geringere Aussagekraft als meine sonst nicht veröffentlichten, aber da ich sonst den Wein ausführlicher studieren und beschreiben kann, möchte ich die Punkte als zusätzliches Merkmal hier mitaufnehmen.

Riesling Kabinett trocken 2008, Clemens Busch, Mosel
Schöner sehr trockener Wein mit typischen Graipefruitnoten und knackiger Säure

Trebbiano d’Abruzzo DOC 2008 , Az. Agricola Jasci, Italien – Abruzzen
sehr trocken mit interessanter fruchtiger Aromatik, hervorragender Alltagswein

Riesling Großes Gewächs 2008, Clemens Busch, Mosel – Pündericher Marienburg
N: recht dezent, erdig, Intensität nimmt mit Luft zu, Graipefruit
M: schöne Dichte, sehr würzig, harmonisch
88+ CP

Riesling Großes Gewächs 2008, Clemens Busch, Mosel – Pündericher Marienburg Rothenpfad
N: Zitrusnoten, Graipefruit, würzig
M: recht dicht, erdig, mineralisch
90 CP

Riesling Großes Gewächs 2008, Wittmann, Rheinhessen – Westhofener Morstein
N: Schwer zu durchdringen noch sehr verschlossen
M: dicht, harmonisch, würzig
90 CP (ich kann mich dem Hype um den Wein momentan noch nicht anschließen, dazu ist er einfach viel zu verschlossen, die 90 sind schon mit viel Zukunftspotential versehen)

Riesling Großes Gewächs 2008, Wittmann, Rheinhessen – Westhofener Aulerde
N: Pfirsich, Tabak, würzig
M: Fein, dicht, elegant
93 CP (der trockene Wein des Abends, darin möchte ich wirklich baden)

Montepulciano d’Abruzzo DOC „Poema“ 2002, Az. Agricola Jasci, Italien – Abruzzen
N: erdig, Pfeffer
M: dicht, kräftig, rund
87 CP

L’Angelet Crianza 2005, Bodegas Palmera, Spanien – Utiel-Requena
N: recht dezent, floral, Basilikum
M: sehr dicht, würzig, Schokolade
87 CP

L‘ Angelet d’Or 2000, Bodegas Palmera, Spanien – Utiel-Requena
N: Malz, würzig
M: extreme Dichte, sehr kräftig, würzig, harmonisch, gute Länge
90 CP

Riesling Auslese *** 2001, Clemens Busch, Mosel
N: Bortrytis
M: sehr dicht, fruchtig, sehr rund, lang
89 CP

Riesling Auslese 2001, Heyl zu Heinsheim, Rheinhessen
N: sehr fruchtig, Honig
M: filigran, fruchtig, dicht
91 CP

Riesling Beerenauslese (Nr. 2) 1999, Clemens Busch, Mosel – Pündericher Marienburg
N: Honig, Wachs, blumig, Bortrytis
M: sehr elegant, fruchtig, dicht, filigran
93 CP

An den hier beschriebenen Weinen läßt sich schon sehr gut erkennen, daß uns auch echte Raritäten ausgeschenkt wurden, was nicht unbedingt selbstverständlich ist.
Der Andrang auf die Verkostung war nur mäßig. Vielleicht kann sich der Fachverband noch einmal überlegen, wie er die Nacht der guten Weine zu einer Institution machen kann, um einer breiteren Öffentlichkeit die Qualität des im Fachhandel verkauften Weins näher zu bringen, denn dieser schöne Event hatte doch eher den Charakter eines Kundenbindungsprogramms, da nahezu alle zu den Stammkunden gehörten (mich wechsel- und sprunghaften Menschen einmal ausgenommen).

Bundestagswahl 2009 – die 7.

Schon ein paar Tage her, daß ich mich zur Wahl äußerte. Dies liegt aber weniger am Thema selbst, als am Mangel an Zeit zum Schreiben und an Netzwerkproblemen.

Montag habe ich die Debatte der drei kleinen Kandidaten gesehen. Auch wenn die Debatte etwas hitziger war, als die der Elefanten Steinmeier und Merkel, war sie zugleich auch noch langweiliger. Ich kam mir vor, als würde ich gerade einer ganz normalen Talkshow folgen, inklusive den üblichen Schwanzvergleichritualen und der ewigen Frage, wer am unauffäligsten den anderen Wort ins Wort fallen kann, gleichzeitig aber natürlich wegen seiner brillanten rhetorischen Beiträge doch und zwar ausschließlich positiv auffällt. Wie meistens lautete die Antwort auf diese rhetorische Frage „Keiner.“

Diesmal fing die Debatte mit dem aktuellen Thema des Münchner S-Bahn-Mords an bzw. dem Thema der Verrohung der Gesellschaft oder zumindest der Jugend an. Es war interessant, wie sich die Antworten der drei Politiker glichen mit ihren Forderungen nach mehr Polizei und konsequenterer Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Strafmaßes. Wenn ich mal davon absehe, daß ersteres Ländersache und zweiteres Sache der glücklicherweise unabhängig von der Politik agierenden Richter ist, bleibt für mich doch eine generelle beklemmende Beobachtung. Alle wollen, daß der Gärtner die Heckenschere nutzt, um das Unkraut kleinzuschneiden, doch keiner fragt sich, wie er es an der Wurzel bekämpft. Stattdessen wird für Düngemittel wie Fernsehen und Computerspiele ein Verbot gefordert. Nicht, daß ich hier falsch verstanden werde, ich halte diese landwirtschaftlichen Maßnahmen nicht für falsch, aber erstens mangelt es dann doch meistens an einer konsequenten Umsetzung, wohl auch weil die Politiker selbst nicht restlos von ihnen überzeugt sind, und zweitens führen diese Maßnahmen am Kern des Problems vorbei.

Ich glaube nicht, daß die Gewalttätigkeit und Verrohung der Gesellschaft ein Problem allein unserer Zeit ist. Schon immer gab es sinnlose und mutwillige Gewalt, und es gab genug Zeitpunkte in der menschlichen Geschichte, wo es Gegenden gab, wo schon ein falscher Blick langte, um verdroschen zu werden oder Schlimmeres. Die Frage, die ich daher stelle, ist, wieso es gelungen ist, so lange Zeit eine so ruhige und friedfertige Gesellschaft zu erreichen und am Leben zu erhalten?

M.E. hat dieser erreichte und jetzt auf dem Spiel stehende Zustand der Gesellschaft etwas mit Perspektiven und mit Integration zu tun.

Wer weiß, daß eine Gesellschaft ihm Chancen bietet, solange er sich an die Regeln hält und daß er etwas verliert, wenn er sich nicht an die Regeln hält, der hält sich eher an die Regeln, als derjenige, der ohnehin nicht zu verlieren hat. Härtere Strafen können daher nur dann erfolgreich sein, wenn der Bestrafte auf der anderen Seite eine Perspektive hat. Diese vermeintlich zugenommene Bereitschaft zur Gewalt und zur Verrohung im Allgemeinen rührt m.E. in erster Linie daher, daß diese Jugendlichen von der Gesellschaft alleine gelassen werden und ihnen keine Perpektive aufgezeigt wird, wie sie ihr Leben in den Griff bekommen können.

Neben fehlenden Perspektiven ist fehlende Integration ein zweites Kernproblem, daß zu unbegreiflichen Gewaltexzessen geführt hat. Es gibt Menschen, die zwar in der Gesellschaft im Allgemeinen zurecht kommen, in ihrem speziellen häuslichen sozialen Umfeld aber vereinsamen und isoliert leben. Der gesunde Menschenverstand sage einem, daß diese Menschen naturgemäß viel anfälliger für irgendwelche extremen Szenarien, psychische Probleme und Wahnvorstellungen sind, allein schon deshalb weil sie niemand haben, mit dem sie sich austauschen können und der in der Lage ist ihre fehlgeleiteten Gedanken zu kanalisieren. Daß an dieser Stelle nicht einmal immer Drogen ins Spiel kommen müssen, soll nicht an das Motto der Website erinnern, sondern aufzeigen, wie alleine diese Menschen sind, die nicht einmal Kontakte zu einem Dealer haben. Ob ein Verbot von Ballerspielen wirklich das ist, was diese Jugendlichen zurück in die Gesellschaft führt, wage ich doch anzuzweifeln.

In beiden Fällen, sowohl bei den Perspektiven als auch bei der Integration handelt es sich um individuelle wenn auch nicht vereinzelte Probleme. Diesen Problemen mit irgendwelchen Brachialmaßnahmen zu begegnen, besitzt m.E. wenig Aussicht auf Erfolg. Ich glaube, daß es für diese individuellen Probleme individuelle Lösungen braucht. Ein vernünftiger Streetworker kann hier unter Umständen mehr ausrichten als 5 Polizisten. Es braucht m.E. den Ausbau von sozialen Fördermaßnahmen, aber nicht solchen mit der Gießkanne, sondern solchen, wo die Jugendlichen direkten Kontakt mit Menschen haben, die auf ihre Probleme eingehen und versuchen, ihnen zu helfen. Hierfür gibt es kein Patentrezept, aber es gibt viele erfolgreiche Programme, die um jeden Euro kämpfen müssen oder geschlosssen werden, weil das Geld für ein politisches Prestigeprojekt benötigt wird. Und es gibt viele Ideen für Programme, die man initiieren könnte. Gerade die Vielfalt solcher Programme ist am ehesten geeignet, die Jugendlichen mit ihren individuellen Problemen abzuholen. Aber eine solche Antwort ist wahrscheinlich zu wenig populistisch und zu unkonkret für ein Parteiprogramm.

Was hat das jetzt mit der Debatte von Trittin, Westerwelle und Lafontaine zu tun? Wenig, sie war für mich nur der Auslöser mal wieder über die Kurzatmigkeit politischer Lösungen nachzudenken. Vielleicht schreibe ich morgen noch einmal über die drei, obwohl sie soviel Aufmerksamkeit meinerseits eigentlich nicht verdient haben, aber vielleicht ist auch das ein Kernproblem unserer Politik: Daß der mündige Bürger keine Lust mehr hat sich mit der Politik und den Politikern zu beschäftigen und sie deswegen mit ihrem Mist gewähren läßt.