Ich gebe zu, es gibt Tage, da tun mir Politiker leid. Selbst Politiker, die ich eigentlich nicht mag. Es ist schon ein enormer Druck, unter dem sie stehen. Sie führen quasi ein Leben in der Öffentlichkeit und müssen auf jedes Wort, das ihren Mund verläßt, höllisch aufpassen. Ich könnte für den Rest dieses Beitrags das Wort „Scheiße“ 821 mal wiederholen, und es würde niemanden interessieren. Macht ein (Spitzen-)Politiker dagegen eine ironische Bemerkung und wird dabei beobachtet, muß er bereits darauf hoffen, daß der Humor auch wirklich nicht zu übersehen ist, denn alles andere wird gegen ihn verwendet. Wenn schon nicht von der Presse, dann garantiert vom politischen Gegner, gleich ob in einer anderen oder der eigenen Partei.
Die Leser der Website werden gemerkt haben, daß mir das Wort und die Sprache sehr am Herz liegen. Gleichzeitig ist es für mich eine Horrorvorstellung, jedes Wort auf die Goldwaage gelegt zu bekommen. Genau dies mache ich aber, wie wohl die meisten anderen auch, bei Politikern und anderen Personen des öffentlichen Interesses. Es ist unwesentlich, ob ein Interview verkürzt und dadurch sinnentfremdet wird, oder ob ein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch erst zu einer frevelhaften Äußerung wird. Ich verlasse mich auf den ersten Anschein, der auf diese Worte strahlt und bemerke nicht, daß derjenige, der sie präsentiert einen Schleier um die Worte legt.
Ich entsinne mich an den Hohn, den Frau Merkel erntete wegen des Verwechseln von Brutto und Netto. Betrachtete man ihre Worte genauer, stellte man zunächst fest, daß sie von einem deutlich komplexeren Kontext sprach als dem zwischen Bruttolohn und Nettolohn und man die Materie sehr gut kennen mußte um ihr Versehen, das es, wie der weitere Teil der Rede deutlich machte, war, überhaupt zu erkennen.
Es gibt Hunderte andere Beispiele, und sicher kennen die meisten eines, bei einem ihrer zu Unrecht verleumdeten Helden oder bei einem schleimigen Politiker, dem es völlig recht geschieht. Ich hoffe, man wird mir jetzt nicht Unverhältnismäßigkeit vorwerfen, aber ich finde diese Praktiken des Kontextentziehens, des Verfälschens, des bewußten Sinnentfremdens und des auf die Goldwaage Legens haben etwas von einer Vergewaltigung. Der Politiker wird wie er da steht, sicher nicht vollkommen unvorbereitet, denn er kennt das Spiel ja, von der Attacke doch überrascht und merkwürdigerweise auch verärgert. Reagiert er nun gereizt oder beleidigt, hat er gleich doppelt verloren, denn er erweist sich nicht nur als unsensibel sondern auch noch als uneinsichtig.
Diese ekligen Gemeinheiten und boshaften Unterstellungen sind in der Tat ein Grund, wieso mir Politiker manchmal leid tun können, doch meistens entdecke ich diese Gemeinheiten ja nicht einmal und schimpfe nur über den unverschämten Politiker. Doch Politiker müssen mehr als das aushalten. Sie stehen permanent in der Öffentlichkeit. Jede ihrer Entscheidungen wird von der Öffentlichkeit begutachtet, analysiert und kritisiert. Unschwer kann sich jeder vorstellen, daß es immer eine Seite gibt, die negative Kritik übt. Schlimmer noch ist, daß jede noch so scheinbar kleine Entscheidung Jahre später an die Öffentlichkeit gezerrt werden kann und dieser nach Sensationen hungrigen Masse zum Fraß vorgeworfen werden kann. Den Politiker verspeist sie dann gleich mit. Wobei die meisten unserer Politiker so zäh geworden sind, daß sie nicht gut genug schmecken.
Ich stelle mir häufig den Vergleich mit der Wirtschaft. Manager und Vorstände insbesonderer großer Unternehmen haben häufig jeden Bezug verloren zu dem, was auf der Basis ihres Unternehmens passiert. Gleich fernen Planeten kreisen sie auf einer Umlaufbahn um das Unternehmen und die Mitarbeiter. Sie können sehr viele Fehlentscheidungen treffen, ohne dafür belangt zu werden. Ähnlich wie bei Politikern werden die Mitarbeiter so oder so über sie schimpfen. Doch der Anteil der Manager an dem Erfolg ist üblicherweise so gering, daß es schon erschrickt wie viel Lob sie für die Erfolge anderer einstecken und wie es ihnen andererseits gelingt Mißerfolge auf andere abzuwälzen. Auch bei Managern ist es keineswegs so, daß die besten oder kompetentesten Leute diese Posten gewinnen, sondern häufig diejenigen, die am besten vernetzt sind. Gerade wenn sie sich der eigenen Unzulänglichkeiten zumindest partiell bewußt sind, achten sie darauf Leute empor zu hiefen, die nicht besser sind als sie selbst, um sich nicht in eine Gefahrenposition zu begeben.
Bei Politikern scheint es mir ähnlich zu sein. Es heißt so schön „Hinter einem erfolgreichen Mann steht eine erfolgreiche Frau.“ Hinter einem erfolgreichen Politiker stehen auf jeden Fall einige Berater, Lohnsklaven und willige Gefolgsleute aus dem Parteiendickicht, auf deren Loyalität er sich verlassen kann, da er ihnen schöne (lukrative?) Posten zugeschustert hat. Durch die regelmäßigen Wahle, die einen gemeinerweise absetzen können, ist der Druck und die Furcht vor Konkurrenz fast noch stärker als in der Wirtschaft. Ist man in der Politik daher oben angekommen, hat man sich sicher bereits einige Feinde in der eigenen Partei gemacht, sein Nervenkostüm sehr hart strapaziert und nahezu alle Ideale über Bord geworfen, die einen vielleicht einmal dazu bewogen haben, in die Politik zu gehen. Und genau in diesem Moment, in dem man sich nicht mehr traut, in den Spiegel zu schauen, trifft man auch noch auf eine überaus böswillige Öffentlichkeit, die nach einem echten oder unechten Fehler lechzt. Dabei sind es häufig gar nicht die eigenen Fehler, für die man verantwortlich gemacht wird, sondern die des Staatssekretärs der zum ganzen Überdruß auch noch ein anderes Parteibuch trägt, oder das Versagen irgendwelcher Ministerialbeamter.
Ja, es gibt Tage, da können Politiker mir leid tun.
Montag und Dienstag waren Frau Merkel und Herr Steinmeier in der ARD-Wahlkampfarena, wo sie sich den Fragen der Studiogäste stellten. Von Frau Merkel habe ich leider nur die letzten 15 Minuten gesehen, doch es fiel auf, wie sehr beide Kandidaten von sehr guten Medienberatern auf diese Sendungen vorbereitet wurden. Bei den teilweise renitenten Fragern wäre der Spendenbaron aus Oggersheim an die Decke gegangen und ausfallend geworden. Frau Merkel reagierte konzilant, schloß manche Kritik mit der höflichen Bemerkung, daß man hier eben grundverschiedener Ansicht sei, gab an anderer Stelle zu, einen Punkt noch nicht bedacht zu haben und versprach diesen mitzunehmen und bei der Ausgestaltung von Gesetzen zu berücksichtigen.
Herr Steinmeier begann überaus nervös und verhaspelte sich anfangs ein wenig, obgleich die ersten Frage zur Rente durchaus noch freundlich waren und ihm Chancen boten. Doch der für mich in diesem Wahlkampf bisher noch blasser als Michael Jackson gebliebene Frankie taute auf und wurde immer souveräner. Er versuchte den Eindruck zu machen, auf den Frager einzugehen, indem er nachfragte und versuchte mehr Details hinter der ersten Frage zu erfahren. Zu offensichtlich war jedoch seine Anbiederung beim Publikum, wenn er bei jedem Gast darauf einging, aus welcher Stadt dieser kam. Gegen Ende wurde er fast staatstragend und sprach einige sehr wichtige und m.E. auch richtige Worte zur Bedeutung der Bildungspolitik und zum Schaffen von Chancen der Bildungsgleichheit insbesondere für Kinder und Jugendliche mit anderem kulturellen Hintergrund. Dieses staatstragende Habitus stand ihm ausgesprochen gut – man sollte es von einem Außenminister aber eigentlich auch erwarten können. Es wäre schön, wenn die Betonung gerade dieses Punktes nicht nur aus der Tatsache rührte, daß Steinmeier sich in Form geredet hatte, sondern auch daraus, daß dies für ihn und die SPD wirklich ein extrem zentrales Thema ist.
Angies Aussagen zum Thema AKW waren irgendwie dazu geeignet mich von meiner eher neutralen Position in dieser Frage in die Arme der eindeutigen AKW-Gegner zu treiben. Wenn ich die Liste der Störfälle betrachte und mir dann gesagt wird, daß wir in Deutschland die sichersten AKWs der Welt haben, kann ich nur sarkastisch lachen, wobei angesichts des Gefahrenpotentials selbst mir das Lachen im Hals stecken bleibt. Statt an eine Verlängerung der Laufzeiten der bestehenden AKWs hätte ich mir ja noch eher einen kompletten Neubau vorstellen können, aber wenn ich überlege, mit wie vielen Fehlern heutzutage noch Software entwickelt wird, sind wir dafür vielleicht nicht reif genug.
Frankie dagegen schaffte es nicht, mir die SPD oder sein Programm madig zu machen. Für einen Politiker ist das schon mal eine ziemlich ordentliche Leistung. Ob aber die Tatsache, daß er die Dame aus Grevenbroich sofort mit Horst Schlämmer in Verbindung brachte, ihm Stimmen kostet, wage ich nicht zu beurteilen. Ich weiß nur, daß der Mann als Außenminister unserer Republik und Kanzlerkandidat offensichtlich immer noch genug Zeit hat, sich irgendwelchen Quatsch im Fernsehen anzuschauen. Womit wir wohl wieder beim Worte auf die Goldwaage legen wären.
Manchmal können Politiker mir wirklich leid tun.
(Aber morgen lasse ich mich nicht mehr von christlicher Gnade leiten und hacke wieder auf sie ein – versprochen)