Strahlender Sonnenschein erwartete mich am nächsten Tag. Ich beschloß das Angebot meines Hotels in Kooperation mit der dortigen Diakonie zu nutzen und ein Fahrrad zu mieten. Ich wollte eine Tour entlang der Nahe machen bis nach Monzingen, das zwar nicht an der Quelle der Nahe liegt, aber doch den qualitativen Weinbau an der Nahe doch mehr oder minder nach Westen hin abschließt. Dort wollte ich mir die Lage des Monzinger Halenbergs und das Weingut Emrich-Schönleber etwas genauer anschauen, die beide zu den jeweils angesehensten in Deutschland gehören und natürlich auch in einem gewissen Wechselspiel zueinander stehen.
Leider hatte die Diakonie vergessen, Fahrradschlösser mitzuliefer, so daß ich Anweisung hatte besonders aufzupassen, wenn ich das Fahrrad abstelle…
Da ich im Urlaub war, nahm ich mir fest vor von solchen kleinen Unbequemlichkeiten nicht die Laune vermiesen zu lassen und machte mich auf den Weg. Entlang der Südseite der Nahe ging es vorbei an Norheim und dessen nach Süden ausgerichteten Weinlagen Kirschheck, Dellchen und Kafels, wobei eine genaue Trennung der Lagen sich mit dem Auge nicht unbedingt identifizieren ließ. Bei Niederhausen haben die Winzer große Buchstabenschilder in die Weinberge gestellt, auf denen die Namen der Weinberge standen. Nichtweintrinker denken bei so einer Ansicht vielleicht an den Hollywood-Schriftzug, Weintrinker eher an die auf Trockenmauern aufgemalten Namen im Rhonetal, etwa am Hermitage, wobei es dort die Namen der Winzer sind, die im Weinberg von weitem her lesbar sind. Entsprechend große Trockenmauern sind an der Nahe jedoch eher selten zu finden, so daß es doch echter Buchstabenschilder bedurfte.
Kurz vor Niederhausen ist ein Sperrwerk in die Nahe gebaut, über dem man die Nahe an der Stelle überquert. Auf dem dahinter liegenden kleinen Stausee sind viele Wassersportler, insbesondere Ruderer aber auch Kajakfahrer unterwegs. Ich fuhr durch Niederhausen durch und an der berühmten Niederhäuser Hermannshöhle vorbei. Endlich mal eine Weinlage deren Name der Laie sofort nachvollziehen kann, befindet sich doch am Fuße des Weinbergs der Eingang in einen alten Stollen.
Ich fuhr am Abzweig zur Gutsverwaltung Niederhausen-Schloßböckelheim vorbei Richtung Oberhausen. Erneut überquerte ich die Nahe auf die Südseite. Diesmal nahm ich aber nicht irgendeinen Übergang sondern die Oberhäuser Brücke, über der sich Hermann Dönnhoffs gleichnamige Vorzeigelage befindet. Angesichts gerade dieser Brücke mußte ich auch hier nicht lange darübernachdenken, wie man dazu kam, diesen Namen für die Lage zu wählen.
In Oberhausen kam ich endgültig vom Weg ab. Vorbei am Camping-Platz Oberhausens fuhr ich parallel zur Nahe auf einem kleinen Feldweg weiter, der sich wegen des teilweise noch feucht-nassen Wetters etwas morastig und unabhängig vom Wetter vor allem als stark ansteigend erwies. Weder war mein Rad technisch gut genug ausgestattet, um einen adäquaten ersten Gang bereitzustellen noch war ich konditionell gut genug in Schuß, um diesen Weg allzu lange zu fahren. Wer mich kennt, weiß das Aufgeben gleichwohl nicht in Frage kommt. Das Fahrrad und meine Form verfluchend, begann ich also das Rad zu schieben, da es ja nicht mehr allzu lange bergauf gehen konnte. Wer weiß, wie ich mich entschieden hätte, wenn ich gewußt hätte, daß ich den Weg erst zu einem Drittel bewältigt hatte.
Ich entdeckte wieder einmal, wie vergleichsweise einfach es ist, einen Berg hochzulaufen, wenn man als Alternative ein Fahrrad und wenig geeigneten Grund oder das Schieben des Fahrrads hat. Als ich nach zwei Drittel, wie sich später heraus stellen sollte, eine mittellange Pause einlegte, konnte ich einen wunderbaren Blick über die hier oben befindlichen Wiesen und die darüber springenden Rehe genießen ebenso wie auf Schoßböckelheim. Ich genoß den Blick natürlich insbesondere auch in der Gewißheit, daß ich diesen ohne meinen Schlenker nie hätte genießen werden können.
Und ob man es glaubt oder nicht, hier oben – keineswegs in bester Ausrichtung – befanden sich auch Reben. In einer Parzelle wurden hier oben verschiedene Reberziehungssysteme ausprobiert, etwa das doch eher ungewöhnliche Pergolasystem, das ich bis dato noch nicht bewußt in einem echten Weingarten gesehen hatte.
Auf dieser Höhe war die Sonneneinstrahlung direkter als weiter unten, so daß ich mich leichter anziehen konnte, und die Wege wieder trockener und zugegebenermaßen auch weniger steil wurden. Ich konnte mich also wieder aufs Rad setzen und weiter fahren, ließ es aber locker angehen. Zu schön war es hier oben. Keine Menschenseele weit und breit, keine Motorengeräusche; nur ein paar Vögel waren zu hören und Hasen zu sehen die erstaunlich furchtfrei in kurzer Distanz zu mir gelassen über den Weg hoppelten. Oben angelangt ließ ich es mir gefallen und machte mich ganz langsam mit vielen Unterbrechungspausen auf die Fahrt hinunter, um dieses Naturidyll zu genießen. Wie ich auf Schildern lesen konnte, findet hier auch eine kontrollierte Verwilderung eines einstmals intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebiets statt.
So war ich einerseits etwas enttäuscht als ich von meinem schönen Weg zurück in die Zivilisation nach Durchroth kam, andererseits aber auch erleichtert wieder eine vernünftige Straße unter den Rädern zu haben, so daß ich wieder schneller voran kommen konnte. Dies wurde dadurch unterstützt, daß die Straße von Durchroth nach dem nächsten Ort Odernheim ganz schön abschüssig ist. Nach all dem mühsamen Strampeln machte es auf der kurvigen Straße viel Spaß, das Rad laufen zu lassen und unbeschwert die Geschwindigkeit zu genießen.
Kurz nach dem Ortseingang von Odernheim schaute ich mir kurz die Ortskarte an, um zu sehen, wie ich weiter in Richtung Monzigen fahren mußte. Sofort beim Wiederanfahren fiel mir auf, daß etwas ganz und gar nicht stimmte. Ich hatte einen handfesten Platten. Aufpumpen half auch nichts. Mir wurde ganz schön mulmig bei dem Gedanken, wo ich gerade wie herunter gefahren war. Ein Glück, daß der Reifen das gerade noch ausgehalten hatte, bevor er schlapp machte. Der nächste Bahnhof war 4km entfernt, und der nächste Bus ließ noch geraume Zeit auf sich warten, so daß ich mir ein Taxi rief und mit dem das Fahrrad zuück nach Ebernburg transportierte.
Dort angekommen, folgte ich tatsächlich dem Vorschlag, mich auf das zweite Fahrrad zu setzen und mich noch einmal auf den Weg zu machen. Der Tag war schließlich noch nicht allzu weit über die Mittagszeit hinaus geschritten. Wieder ging es gegen den stetig und unbarmherzig blasenden Westwind, der die Fahrt beschwerlich machte.
Vorbei an Norheim und Niederhausen nahm ich diesmal die richtige Abzweigung und fuhr gar nicht erst über die Nahe nach Oberhausen, sondern unter der Eisenbahn hindurch den steilen Hang auf der nördlichen Seite hoch. Im Gegensatz zur südlichen Seite war der Weg hier aber eine ordentliche, asphaltierte Landstraße, was das Schieben zu einer etwas weniger schmutzigen Angelegenheit machte.
Die Landstraße fuhr direkt an der ehemaligen Gutsverwaltung Niederhausen-Schloßböckelheim dem heutigen Gut Hermannsberg vorbei, und da der Tag nun schon weiter voran geschritten war und die Nachmittagsöffnungszeiten bereits erreicht waren, entschloß ich mich zu einem längeren Stopp und einer Weinprobe:
Riesling Niederhäuser Hermannsberg trocken 2007
N: blumig, Holunder, Muskat
M: lebendige Säure gut integriert, frisch, ordentliche Länge 87 CP
Riesling Schloßböckelheimer Kupfergrube trocken 2008
N: dichte reife Frucht, Aprikose
M: ordentliche Säure, leichter Schmelz 85 CP
Riesling Niederhäuser Hermannshöhle feinherb 2007
N: Botrytis, Steinobst, erdig
M: eher leichter Körper, ordentliche Frucht 83CP
Riesling Schloßböckelheimer Felsenberg feinherb 2006
N: Botrytis, Reifetöne
M: deutliche Frucht, ordentliche Dichte, leicht cremig, mineralische Andeutung 86 CP
Riesling Niederhäuser Hermannsberg trocken 2008
N: schwer zu durchdringen, erdig
M: aggressive Säure, ordentlicher Körper 80CP
Riesling Traiser Bastei Spätlese 2007
N: Steinobst, Mirabelle
M: feingliedrig, schöne Süße, kraftvolle Frucht 88CP
Riesling Niederhäuser Hermannsberg Auslese 2003
N: Botrytis, deutliche Reifenoten
M: opulente Süße, reife Frucht, dicht und doch filigran 87 CP
Riesling Niederhäuser Hermannshöhle Auslese 2002
N: Zitrone, würzig, Botrytis
M: fein, dicht, kräftige Frucht, Mineralität 90CP
Riesling Schloßböckelheimer Kupfergrube Auslese 2001
N: Rosinen, Pfirsich
M: dichte, feine Süße, leicht klebrig, opulent 90CP
Frisch gestärkt ging es zurück aufs Rad und jetzt auf der anderen Seite wieder den Hermannsberg hinunter. Die Gutsverwaltung ist für Ausflügler also durchaus ein lohnenswertes Ziel. Alleine die Position des Weinguts an der Spitze der Straße ist eine willkommene Belohnung nach dem Anstieg und falls man es weiß ein guter Anreiz auf dem Weg nach oben.
Der Westwind begleitete mich aber auch nach meiner Pause mit unfreundlicher Penetranz und machte das Strampeln auf offenen Feldern zu echter körperlicher Arbeit. Odernheim und die Möglichkeit einer von der eigenen Muskelkraft angetriebenen Draisinentour ließ ich rechts liegen. Mir reichte der Drahtesel, den ich nach Kräften trat völlig aus als Fortbewegungsmitte, zumal die Draisinentour in die falsche Richtung geführt hätte.
Bei Bad Sobernheim konnte ich den Barfußpfad bewundern, der ein relativ großes Areal ist, auf dem man ein Fußerlebnis der besonderen Art machen soll, in dem man über diverse Gerätschaften, speziell ausgelegte Pfade durch eine Furt die Nahe durchquert undundund… Da ich außerhalb der Saison da war, war der Pfad jedoch noch nicht in Betrieb, so daß sich z.B. nicht ohne weiteres erkennen konnte, wo sich die Furt befinden sollte. Daher konnte ich dieses für einen Läufer natürlich hochinteressante Fußerlebnis nicht mitmachen.
Bad Sobernheim bot auch eine gute Gelegenheit noch einmal im Kreis zu fahren. Der nächste Ort westlich von Bad Sobernheim ist schon Monzingen. Allerdings muß man als Radfahrer zuvor noch zweimal die Nahe überqueren, da die einzige direkte Straße von Bad Sobernheim nach Monzingen eine viel befahrene Bundestraße ist.
Eine Nahequerung später bekam ich kurz hinter Meddersheim den Monziger Halenberg in den Blick.
Voller Erwartung fuhr ich nun nach Norden, überquerte die Nahe ein weiteres Mal und war in Monzingen. Hier mußte ich beim Weingut Emrich-Schönleber leider erfahren, daß man dort gerade keine Zeit für eine Verkostung hatte. Wäre mein Weg anders verlaufen, hätte ich sicher eine Stunde vorher angerufen und mich angemeldet, so war ich mir nicht ganz sicher inwieweit der Unwille für eine Verkostung auch am meinem Aufzug gelegen haben mag, aber ich nahm es nicht allzu schwer, sondern schaute mir kurz Monzingen an, aß eine Kleinigkeit, versuchte erfolglos einen weiteren Winzer zu erreichen, bevor ich mir die schwierige Frage stellte, ob ich wirklich den ganzen Weg zurück fahren wollte oder nicht doch lieber die Bahn nehmen sollte.
Ich entschied mich dafür den Westwind wenigstens teilweise auszunutzen und fuhr noch bis Odernheim und bestieg dort die Bahn, was den angenehmen Effekt hatte, daß ich zurück keine Anstiege zu bewältigen hatte. Beim Abendessen konnte ich mich dann über einen körperlich anstrengenden Tag freuen, der mich abseits des Plans mit schönen Erlebnissen versorgte.
2 Gedanken zu „Nahe-Reise (3): Der Weg ist das Ziel“