Denk ich an den Euro in der Nacht…

Vielleicht wäre der zwanghafte Europäer Heinrich Heine erbost zu lesen, wie ich seine Worte vergewaltige, aber die derzeitgen Entwicklungen der Eurozone und insbesondere die Reaktionen der Politik sind in der Tat geeignet, die Bürger Deutschlands und Europas um den Schlaf zu bringen.

Fangen wir mal hinten an, sprich heute, und kämpfen uns zurück bis zu den Maastrichtbeschlüssen.

Bei dem von den Eurostaaten verabredeten Programm handelt es sich mitnichten um ein Stabilisierungspaket. Ziel der Maßnahmen ist eine wirksame Drohgebärde gegen Spekulanten. Dies klingt vielleicht noch schön und gut, doch was steckt hinter dieser Phrase der Politiker?

Eigentlich geht es den Politikern darum, den Staatsbankrott einzelner Länder der EU-Zone zu verhindern, indem durch das 750 Milliarden Paket klargestellt wird, daß in der EU das Prinzip „Alle für Einen“ gilt und die „gesunden“ Staaten dem Einen in Not geratenen mit günstigen Krediten aus diesem 750 Milliardenpaket zur Seite springen.

Lassen wir für einen Augenblick außen vor, woher diese 750 Milliarden eigentlich kommen und widmen uns der viel interessanteren Frage, wieso es dazu kommen soll, daß ein Staat Europas in die Notsituation kommen kann, auf diese 750 Milliarden zugreifen zu müssen.

Für die Finanzierung seines Haushalts zieht ein Staat von seinen Bürgern Steuern ein. Langen die Steuern nicht zur Begleichung der Ausgaben des Haushalts, muß der Staat diese Ausgaben anderweitig decken – durch Schulden. Der Staat gibt also Staatsanleihen aus, die er durch Zinszahlungen tilgt. Die Höhe der Zinszahlungen, die der Staat an seine Gläubiger zu zahlen hat, richtet sich dabei genau wie bei privaten Schuldnern auch nach seiner Glaubwürdigkeit als Schuldner. Geht der Gläubiger sicher davon aus, daß der Staat den Kredit zurückzahlt, ist er bereit sich mit einem geringen Kredit zu Frieden zu geben. Macht er sich dagegen Sorgen, ob sein Kredit zurückgezahlt werden, wird er einen Risikoaufschlag verlangen aus Angst darum, daß er einen Ausfall des gegebenen Kredits mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu beklagen hat und Geld verlieren könnte.

Muß jetzt ein Staat für die Begleichung seiner Zinszahlungen neue Schulden aufnehmen, gerät er langsam in eine Schuldenfalle. Ratingagenturen beurteilen, inwieweit die Finanzierung eines Staats auf soliden Füßen steht, indem sie die Fähigkeit des Staats Steuern zu erheben gegen seine Verpflichtungen als Leistungserbringer und Schuldner stellen. Nimmt das Gewicht auf der Waagschale der Verpflichtungen stärker zu als das Gewicht auf der Schale der Steuern setzen sie die Bonität des Staats herab. Der Markt reagiert, wie es jeder potentielle Gläubiger tun würde. Er verlangt für zukünftige Kredite vom Staat einen Risikoaufschlag. Ist ein Staat in so einer Situation bereits zur Tilgung seiner Schulden darauf angewiesen, neue Kredite zu jetzt schlechteren Konditionen aufzunehmen, sitzt er ganz tief in der Schuldenfalle, die durch die noch höheren Zinszahlungen sich weiter verschlechtern würde. Der Markt merkt dies und verlangt einen noch höheren Risikoaufschlag…, bis es dem Staat unzumutbar erscheint, zu diesen Konditionen Schulden aufzunehmen.

Jetzt würde ein Privatmann mit seinen Gläubigern über Stundungen, Streckungen etc. reden und möglicherweise in der Insolvenz landen. In derInsolvenz wird der Privatmann gnadenlos auseinander genommen, muß das letzte Hab und Gut den Gläubigern überlassen, bis am Ende der Gläubiger vor die Tatsache gestellt wird, daß er einen Teil seines Geldes nicht zurückbekommt. Dieser Teil der Schulden wird dem Privatmann tatsächlich erlassen.

Die Staaten Europas, die in eine solch unangenehme Situation kommen, wollen stattdessen auf die reichen Verwandten zugehen und diese Kredite zu günstigeren Konditionen aufnehmen lassen, auf die die Staaten in Not dann aus dem „Stabilisierungsfond“ zugreifen können. Soweit der Plan, und jetzt hab ich doch gesagt, woher das Geld kommt, obwohl ich dazu eigentlich viel später kommen wollte.

Wichtig ist mir an dieser Stelle vor allem eins. Wie konnte es azu kommen, daß ein Staat in diese Situation kommt? Es ist ähnlich wie beim Privatmann – Fehleinschätzungen der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung, unternehmerisches Pech und das Leben über den eigenen Verhältnissen dürften die Hauptgründe sein.

Was tut Europa dagegen, daß ein Staat überhaupt in diese Situation kommt? Der alte Finanzminister Waigel würde sagen: eine Menge. Die Maastricht-Kriterien(max. 60% des BSP als Gesamtschulden und max. Defizit des Haushalts von 3% durch Neukredite) sind Zeichen eines soliden Wirtschaftens. Staaten, die diese Kriterien erfüllen, geben dem Markt ein Signal, daß sie vertrauenswürdige Schuldner sind und erhalten Kredite zu günstigen Krediten. Gleichzeitig erweisen sie sich auch als vertrauenswürdige Schuldner, indem sie solide mit dem Geld umgehen.

Auch wenn ich jetzt bei Maastricht angelangt bin, bin ich noch lange nicht fertig, sondern drehe die Uhr zurück auf Krisenzeit, also den 11.05.2010, wo wir feststellen, daß es Staaten in der Eurozone gibt, welche die Maastrichtkriterien nicht erfüllen und sich für die Teilnahme am Euro eigentlich nie qualifiziert haben, weil sie diese nur durch Fälschen der eigenen Bilanzen erlangen konnten.

Wenn jetzt diese Staaten in die Situation geraten, daß ihre Bonität von Ratingagenturen herabgesetzt wird und daß ihre Neukredite teurer werden, ist dies zunächst einmal ein Zeichen, daß der Markt ihnen auf die Schliche gekommen ist und ihnen nicht mehr traut.

Die Regierungen Europas haben lange hin und her laviert, wie sie mit dem Sündenfall Griechenland umgehen sollen. Sie haben sich m.E. für die schlechteste Lösung entschieden. Griechenland muß nicht das Gespräch mit seinen Gläubigern suchen und einen eigenen Weg finden, mit seinen Schulden umzugehen, an dessen Ende durchaus ein Teilerlaß der Schulden stehen könnte. Ein Ausstieg aus dem Euro wird Griechenland auch „verwehrt“, obwohl dieser Griechenland die Kontrolle über seine Währung zurückgeben würde und mit der Abwertung der eigenen Währung ein Instrument zur Verfügung stellen würde, die Schuldenlast neuer Schulden weniger drückend zu gestalten.

Der Regierung Griechenlands ist es hoch anzurechnen, daß sie so glaubhaft vermittelt hat, einen harten Sanierungskurs einzuschlagen, das im eigenen Land ein Bürgerkrieg begonnen hat. Diese harte und kompromißlose Haltung gegenüber der eigenen Bevölkerung war es wohl, welche die Regierungen Europas bewogen hat, Griechenland mit günstigen Krediten zur Seite zu stehen, wobei ich dies im Gegensatz zu der Mehrheit als Bärendienst an Griechenland empfinde.

Der Markt reagierte leider nicht, wie von den Politikern gewünscht. Er brach weiter ein, und der Kurs des Euro gegenüber dem Dollar gab deutlich nach. Offensichtlich war die Kreditzusage an Griechenland nicht geeignet, den Markt davon zu überzeugen, daß die in Teilen Europas ausgegebenen Anleihen noch sicher waren. Hinzu kommt, daß ein Sparpaket, wie in Griechenland die Aussichten der Wirtschaft auf Wachstum dämpft, und genau diese bestimmen zum größten Teil den Wert von Aktien. Der Einbruch des europäischen Markts besaß also neben dem Vertrauensverlust eine gewisse rationale Logik auf die Ereignisse.

Aus Panik vor einer sich ausbreitenden Panik am Markt handelten die Politiker in Panik und schufen das Stabilisierungspaket als Maßnahme gegen die Panik.

Und genau das ist es. Renate Künast sprach von einer Brandschutztür. Kein schlechtes Bild. Es sagt aus, daß ein Brand in einem Staat ausgebrochen ist, und wir die Tür verriegeln, damit nur dieser Staat verbrennt. Unabhängig von ihr fiel mir ein anderes Bild ein, das an Griechenlands Brandkatastrophen erinnert. Das Stabilisierungspaket ist eine gewaltige Investition in die Aufrüstung der Feuerwehr. Investitionen in den Brandschutz und Brandverhütungsmaßnahmen bleiben aber aus.

Frau Merkel reiste letzte Woche zu einem EU-Gipfel mit markigen Forderungen, einem Land gegebenfalls das Stimmrecht zu entziehen, falls es gegen die Maastricht-Kriterien verstoße. Unbemerkt ließ sie diese Idee wieder fallen und zauberte stattdessen das Stabilisierungspaket aus dem Hut.

Dabei ging ihre Forderung in die richtige Richtung. Das Einhalten der Maastricht-Kriterien ist ein Zeichen soliden Wirtschaftens. Die derzeitige Krise muß die Fragen aufwerfen. Wie können wir die Einhaltung der Maastricht-Kriterien besser kontrollieren und uns nicht wieder hinters Licht führen lassen? Was für Maßnahmen muß ein Staat über sich ergehen lassen, wenn er die Kriterien nicht erfüllt? Kann ein Ausschluß aus dem Euro eine Konsequenz sein?  Reichen die Maastricht-Kriterien aus, oder sind sie zu weich? Brauchen wir weitere Indikatoren, die ein solides Wirtschaften des Staats signalisieren und seine Stabilität garantieren? Die Antworten auf diese Fragen sind es, die die langfristige Stabilität der Eurozone und der ihr zugehörigen Staaten garantieren.

Daß diese Fragen nicht angegangen werden, sondern stattdessen ein gigantischer Zaubertrick vorgenommen wird, erfüllt mich mit großer Sorge um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands und Europas. Ich bin beinahe geneigt der Bild-Zeitung zuzustimmen, als diese heute titelte: „Wir sind wieder mal die Deppen Europas.“ Sicher haben alle vom Euro profitiert – gerade auch der ehemalige Exportweltmeister Deutschland, dessen Außenhandel durch den Euro massiv erleichtert wurde.

Aber mir ist bis jetzt noch nicht nahe gebracht worden, wie die Schwierigkeiten eines Staats der Eurozone den Euro selbst in Schwierigkeiten bringen können. (Wer die Antwort hat, darf gerne einen Kommentar schreiben). Im Gegenteil, hätte man Griechenland seine Schwierigkeiten selbst lösen lassen, hätte man m.E. die Glaubwürdigkeit des Euros und der Unabhängigkeit der europäischen Zentralbank gestärkt.

So hat man durch die Hilfe an Griechenland das geschaffen, was man in der Wirtschaftwissenschaft „moral hazard“ nennt. Und zwar in vielfältiger Weise. Die Griechen können nun versucht sein, ihre Sparanstrengungen weniger rigoros zu gestalten, weil sie sich ja auf ihre Nachbarn als Spender, (O.K. das ist polemisch, Gläubiger bzw. Bürgen ist korrekt) verlassen können. Die anderen gefährdeten Staaten Europas sind weniger geneigt, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen, weil sie ja sehen, daß Griechenland geholfen wurde. Und die Gläubiger sind gerne bereit, unsoliden Staaten der Eurozone Geld zu günstigen Konditionen zu leihen, da sie sich auf die anderen Staaten Europas verlassen. Die günstigen Konditionen sind wiederum dazu geeignet, mehr zu leihen, als man verkraftet. Da fragt man sich, wo das enden soll.

Der Finanzmarkt hatte dies durchschaut, und genau deswegen reagierte er auf die Griechenlandhilfe negativ. Mit dem Stabilisierungspaket wurde ihm jetzt eine solche Masse an Geld entgegengestellt, daß er die Verbindlichkeiten erstmal als sicher ansieht und kurzfristig beruhigt ist, weil er jetz weiß, daß Europa im Brandfall eine gute Feuerwehr hat.

Leider verstärkt das Stabilisierungspaket das oben erwähnte Moral hazard nur noch weiter. Und in der Tat hatte ich den Eindruck, daß keiner von Europas Staatsführern jetzt noch gewillt ist, darüber zu sprechen, was die Ursachen der Krise waren, und wie das Aufkommen dieser Brände verhindert werden kann.

M.E. machen es sich die Politiker zu leicht, wenn sie die Spekulanten als die bösen Brandstifter hinstellen(Bei anderer Ansicht bitte einen begründeten Kommentar). Die Spekulanten hatten einen gewaltigen Anteil an der Finanzmarktkrise, und es war schockierend und beängstigend zu erkennen, welche Dimensionen ihr Anteil am Marktgeschehen eingenommen haben und wie Spekulanten geeignet sind, die Entwicklungen des Markts in extremere Richtungen zu verschärfen. In der aktuellen Krise waren sie aber m.E. allenfalls das – ein Verstärker. Die Reaktion des Markts auf die Aktionen der Politik ist für Ökonomen m.E. schlicht und einfach eins – nachvollziehbar. Angesichts der Tatsache, daß ein Staat der Eurozone vor dem Bankrott steht, erscheinen diese Reaktionen nicht einmal übertrieben.

Viel wäre noch zu sagen, etwa über die Staatsverschuldung Deutschlands, welche die letzten vier Finanzminister nicht in den Griff bekommen haben oder noch wichtiger über die Aufgabe der Souveränität der EZB dadurch, daß diese zukünftig Ramschanleihen Europas aufkaufen muß, was den Maastrichter Stabilitätspakt ad absurdum führt, doch für einen Blog habe ich wohl schon viel zu lange geschrieben. Also bleibe ich bei Heine: Denk ich an den Euro in der Nacht…

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