Er lässt mich nicht los.
Woran liegt das? Wahrscheinlich vor allen daran, daß ich ihm nicht verzeihen will. Wieso habe ich solche Schwierigkeiten ihm zu verzeihen, obwohl ich bereits geschrieben habe, daß ich es tue? Ich denke, zum Großteil ist es eine Stilfrage. Die Entschuldigung von KT, gerade weil er sich durch sie wieder als Musterschüler ins rechte Licht gerückt sieht, ist bestenfalls viertklassig. Ich vermisse das Eingeständnis des Offensichtlichen, das KT auch bereits zu Beginn der Affäre völlig klar gewesen sein muss, wenn er nicht unter arger Realitätsverzerrung leidet. „Ja, ich habe betrogen! Bitte verzeiht mir.“ Es sind diese Worte, die ich vermisse und wegen derer Abstinenz es mir so schwer fällt, ihm zu verzeihen. Gleichwohl verstehe ich, warum er sie nicht sagt. Das Eingeständnis des Betrugs scheint der Punkt zu sein, an dem er als Minister für seine Partei und die Öffentlichkeit nicht mehr tragbar erscheint.
Und genau das sehe ich anders. Ich halte einen ehrlichen reuigen Betrüger durchaus dafür geeignet, ein verantwortungsvolles Amt zu bekleiden, denn jeder hat eine zweite Chance verdient. Aber leider bleibt KT m.E. ein unehrlicher Betrüger, weil er den Betrug nicht gesteht. Genau deshalb wirkt seine Reue aufgesetzt. Da mein Herz dies erkennt und mein Verstand dem Herz recht gibt, ist es verdammt schwer, KT zu verzeihn. An dieser Stelle sehe ich auch den Vergleich zu Joschka Fischer als sinnvoll, dessen Reue für die Schläge gegen einen Polizisten echt wirkte. (Gleichwohl hätte er wegen der Visa-Affäre zurücktreten müssen – „Oberster Zuhälter der Nation“ war die eine Sternstunde von Michael Glos)
Die Verteidigungsstrategie der Union macht es für mich zusätzlich schwierig. Die Union ist erpicht darauf, die Personalie Guttenberg zu einer politischen Frage zu machen. Das ist falsch. Hier geht es nicht um Macht, sondern darum, was sich eine Person als Politiker erlauben darf.
Daß die Strategie der Union beinhält, die Diskussion als eine Medienkampagne abzuwerten, führt deswegen in die Irre, weil es gerade das arrogante, herablassende Verhalten von KT war, das diese Diskussion immer weiter angeheizt hat. Genau deswegen ist die Frage auch jetzt nicht einzig: „Muß er zurücktreten oder nicht?“ sondern: „Was hat er alles angestellt? Und wann gibt er es endlich richtig zu?“
Daß die Union sich wie ein lebendes Bollwerk vor KT schmeißt, mag man ja als ehrenhafte Treue ansehen, doch gleichwohl sollte sich die Union fragen, welche Prinzipien sie gerade opfert, um ein unehrenhaftes Verhalten zu decken.
Genau hier möchte ich einmal ansetzen und betrachten, was der Verzicht auf echte Konsequenzen alles legitimiert. Gehen wir zur Casa Fischer bzw. der Visa-Affäre zurück. Wessen hatte sich Fischer schuldig gemacht? Fischer hatte sein Amt als Außenminister nicht mißbraucht, aber er war auch nicht seinen Amtspflichten nachgekommen und hatte sich bei der Aufklärung der Affäre höchst unkooperativ gezeigt. Ich werde nicht vergessen, daß Fischer nicht zurückgetreten ist, und es wird ewig ein Schandfleck auf seiner Weste bleiben. KTs Dissertation hat mit dem Verteidigungsministerium originär nichts zu tun. Insofern kann er die Casa Fischer abtun.
Gehen wir zu dem von mir über alles gehassten Roland Koch über. Was war Kochs Vergehen? Oder besser, was war das Vergehen, wegen dem er m.E. zurücktreten hätte müssen? Koch hat die Schwarzgeldkonten schließlich nicht selbst geführt und auch nicht beauftragt. Aber er hat davon gewußt und nichts gesagt. Schlimmer noch: Er hat sein Wissen geleugnet und sich unter Tränen für die „brutalstmögliche Aufklärung“ ausgesprochen, wodurch er sich als schlimmstmöglicher Lügner entlarvt hat. Lügen also – hier sind wir wohl bei KT an der richtigen Stelle. Und damit meine ich insbesondere die Lügen, nachdem der Verdacht hochkam. Dennoch sind KTs Lügen deutlich persönlicher, vielleicht menschlicher; und weil er sich zuvor deutlich weniger schlimme Skandale als Koch geleistet hat – kann man ihm vielleicht noch irgendwie verzeihen.
Die Union hat sich über Vergleiche mit Berlusconi beschwert. Sex mit Minderjährigen hatte KT nicht. Diese danach unter Zuhilfenahme seines Amts und dreister Lügen aus dem Polizeigewahrsam herausgeboxt auch nicht. Das Recht zu seinen Gunsten geändert, so daß frühere Vergehen nicht mehr strafbar sind, hat er auch nicht. Ich unterstelle KT mal, daß er anders als die meisten Bundesbürger seine Steuern ordentlich bezahlt hat und sich auch hier nichts zu vozuwerfen hat. Weiterhin unterstelle ich ihm mal, dass er kein Unternehmen unter dubiosen Umständen aufgebaut hat und keine Kontakte zur organisierten Kriminalität hat. Insofern ein klarer Punkt für KT, doch es geht bei den Vergleichen wohl auch eher darum, dass wir in Deutschland keine römischen Verhältnisse wollen (wie ja schon Westerwelle gesagt hat…) und es nicht ganz zu Unrecht heißt: „Wehret den Anfängen“.
Kommen wir zu einem möglicherweise überraschenden Vergleich, an den sich der Ein oder Andere vielleicht auch schon nicht mehr erinnert: „Der Briefbogen- oder Einkaufswagen-Affäre“. Es gab eine Zeit, in der Jürgen W. Möllemann Wirtschaftsminister dieser Republik war. In dieser Zeit empfahl er auf einem Briefbogen des Wirtschaftsministeriums Handelsketten, einen Chip als Pfandmarke für Einkaufswagen, der in der Firma eines angeheirateten Vetters hergestellt wurde. Skandalös war nicht die Empfehlung an sich, sondern daß durch die Verwendung eines offiziellen Briefbogens das Amt mißbraucht wurde, da Möllemann im Amt eine ihm nahe stehende Person begünstigt hatte. Hier werden wir auch bei KT fündig. KT hat sein Amt als Bundestagsabgeordneter mißbraucht, indem er beim Parlamentarischen Staatsdienst Gutachten beauftragte, die er privat für seine Dissertation verwendete. Was unterscheidet die beiden Affären? Zwei Fakten: Zum Einen kann man Möllemann unterstellen, daß in der Hektik des Büroalltags aus Versehen etwas abgezeichnet wurde oder aus Versehen auf dem falschen Briefbogen gedruckt wurde, während man bei KTs Beauftragung der Gutachten wohl doch von einer bewußten Handlung ausgehen kann. Es sei denn er leidet wie bereits oben geschrieben unter totalem Realitätsverlust, was ihn als Politiker untragbar machen würde. Gravierender ist aber der zweite Unterschied: Möllemann ist ohne allzu langes Wenn und Aber zurückgetreten.
Also liebe Union, bitte denkt noch einmal nach. Euer Festhalten an KT heißt, daß ihr einen Minister unterstützt, der weniger Anstand besitzt als Jürgen W. Möllemann…