Hafenklang und harte Küsse

Das Schiff tutete erneut. Paul wußte, was das Zeichen zu bedeuten hatte. Es war Zeit. Er löste sich leicht aus der Umarmung, um Krista in die Augen zu schaun. Während sie die Hände an seiner Taille ließ, hielt er ihre kräftigen Oberarme.

Paul war leicht überrascht, so etwas wie Wehmut aus ihren Augen zu lesen. Er hatte gedacht, daß es für sie leichter wäre. Schließlich war er es gewesen, der sich vollkommen auf sie eingelassen hatte, sich ihr bedingungslos untergeordnet und all ihre Launen ertragen hatte. Empfand sie am Ende mehr für ihn? Merkwürdigerweise war er davon ausgegangen, für sie nur Manövriermasse gewesen zu sein, die man bei Bedarf einfach austauscht. Gerade diese Labilität ihrer Beziehung hatte ihn auch die extremen Spiele mitmachen lassen, um sie wie einen perfekten Sommertag bis zum Sonnenuntergang auszukosten.

„Nicht weinen, Gefreiter Habermann.“

Paul wußte nicht, warum ihm beim Klang von Kristas barscher Stimme gerade jetzt die Frage durch den Kopf schoß, ob es seine Vorliebe für dominante Charaktere war, die ihn zum Bund getrieben hatte. Er erinnerte sich an Kommentare seiner Mitschüler, die verweigerten, weil sie sich nicht den ganzen Tag Befehle entgegen brüllen lassen wollten. Ihn hatte das nicht gestört.

Weder er noch Krista hatten es an die große Glocke gehängt, daß sie zusammen waren, aber vollkommen verheimlichen ließ sich das natürlich nicht. Paul mußte sich viel Häme und anzügliche Sprüche gefallen lassen, doch er tat, als würde er das ignorieren.

Wahrscheinlich war das die einzige Art und Weise, mit so etwas umzugehen. Er hatte in der Zeitung von einem Schulausflug gelesen, bei dem sich ältere Schüler an den Jüngeren vergangen hatten, und er war sich bewußt, daß auf seiner Stirn in ganz großen Lettern „Opfer“ geschrieben stand. Diese Gefahr war jetzt immerhin überstanden. Seine vermeintlichen Kumpane hatten einfach zu viel Angst vor Krista gehabt.

Paul meinte auch jetzt ihre gaffenden Blicke auf sie gerichtet zu spüren, doch es war ihm egal. So schnell würde er keinen von denen wiedersehen. Jetzt konnte ihm nichts mehr passieren. Er nahm Krista die Mütze vom Kopf und strich ihr sanft über ihre blonden Haare. Sie lächelte schwach.

„Es ist Zeit.“

Paul zögerte. Zum ersten Mal meinte er etwas Unsicherheit in ihrer Stimme zu hören. Er konnte kaum glauben, wie schwer ihr der Abschied fiel. Wie hatte er es nur geschafft, eine so tiefe Beziehung zu ihr aufzubaun? Was machte ihn für sie so attraktiv? Lag es an seinem ungekünsteteln Respekt und seinem bedingungslosen Gehorsam? Das wäre wohl zu wenig gewesen. Schließlich hatte Krista durchaus Spaß daran, Leute zu etwas zu zwingen und grausam zu sein. Vielleicht lag es daran, daß er in ihr nicht nur die brutale Bestie sondern auch die bildhübsche Frau sah und daher keine Angst vor ihr hatte.

Was sollte er jetzt nur ohne sie machen? Sie würden für eine längere Zeit getrennt sein. Das Schiff würde erst in zwei Monaten wieder anlegen und das auch noch in Santiago de Chile. In der Zwischenzeit konnte so viel passieren, daß es besser war, sich dort nicht zu verabreden. Ob sie sich dann überhaupt noch an ihn erinnern würde?

Krista schien sich wieder gefaßt zu haben. Sie löste sich vollständig aus der Umarmung und setzte sich die Mütze wieder auf. Nur kurz mußte sie die Lippen noch einmal zusammenpressen, bevor sie wieder endgültig die alte Krista war.

„Es ist Zeit. Verabschiede dich.“

Paul schwang sich mit der Linken den Seesack über die Schulter, nahm Haltung an und salutierte.

Etwas enttäuscht, daß von ihr keine Reaktion kam, drehte er sich um und ging auf die Gangway zu. Er war keine drei Schritte gegangen, als er Krista hörte.

„So verabschiedet man sich doch nicht.“

Als er dich umdrehte, war sie ihm auch schon entgegen gekommen und küßte ihn lange mit entschiedener Härte. Als sie die Hände von seiner Schulter und seinem Po nahm, lächelte sie ihn noch einmal an und gewährte ihm einen Blick auf ihre in dieser Sekunde vollkommene Schönheit.

Von Glück beseelt setzte Paul seinen Weg fort. Er schaute nicht mehr zurück. Es war klar, daß dies ein finaler Abschied war. Zurück an Land ließ er  am Pier seinen Sack fallen und umarmte seine dort wartenden Eltern, die ihn etwas verdutzt anblickten.

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