Laufen im Winter

Laufen im Winter ist ein Thema, das einem Läufer so sehr auf die Nerven geht, daß niemand noch etwas darüber schreiben oder schlimmer gar lesen will. Gesprochen wird dagegen viel über Laufen in der kalten Jahreszeit. Wobei gesprochen zu viel gesagt ist. Gejammert trifft es besser.

Nach dieser thematischen Einleitung liest wahrscheinlich kein Läufer mehr mit. Falls doch, darf es die nächsten sechs Absätze überspringen, damit er den Text zu Ende lesen kann. Bis dahin will ich die sadistischen Gelüste der Nichtläufer unter den Lesern befriedigen, die sicher schon begierig darauf warten, sich am Elend der anderen ergötzen zu können. Ich will sie nicht länger auf die Folter spannen.

Ich hasse Winter! Ich hasse nicht einfach nur Schnee und Eis. Nein! Ich hasse jedes noch so kleine Detail des Winters mit jeder Faser meines Körpers, und ich hasse Winter in seiner Gesamtheit als grausame Komposition eines hörgeschädigten Komponisten für Parkinson-kranke Musiker mit verstimmten Instrumenten.

Die einzelnen Waffen des Winters wirken auf mich, als stammten sie aus dem bestialischen Werkzeugkasten des Teufels. Zentrales Element ist die Kälte. Als Universalwerkzeug wirkt sie wie ein Hammer. Sie kann alles kurz und klein schlagen. Dabei ist sie leider auch unausweichlich. Kälte gibt es in jedem Jahr. Der Versuch ihr mit drei oder noch mehr Lagen Kleidung als Panzer entgegenzutreten, wirkt kontraproduktiv, denn die Kleidung lässt dich nicht nur dick wirken, sie zerstört auch jedes positive Körpergefühl. Wem der Zeitverlust bei An- und Auskleiden nicht bereits reicht, der möge an die ökologischen Kosten denken, die das Waschen der zusätzlichen Kleidung verursacht, um dann hoffentlich zu begreifen, dass bereits die Kälte ausreicht, um den Winter zu hassen. Wer es immer noch nicht geschnallt hat, der sei versichert, daß eine noch so sorgfältige Kleiderwahl und ein minutiöses Ankleiden, gegen dessen Sorgfalt das Anlegen eines Weltraumanzug chaotisch wirkt, nicht verhindern können, daß man irgendwann irgendwo friert.

Neben der Kälte ist selbstverständlich der Schnee zu nennen, der wie der Schraubendreher wirkt, der den kalten Würgegriff des Winters noch etwas enger zieht. Fanatische Leser von „Fräulein Smillas Gespür für den Schnee“ werden sicher auswendig wissen, wie viele Arten von Schnee sich unterscheiden lassen. Ich weiß nur eins. Ich hasse sie alle! Ich hasse es, wie er sich verräterisch in ein unschuldiges Weiß kleidet. Ich hasse Schnee in all seinen Formen, sei es liegend, als Flocke gegen das Gesicht peitschend, als geworfener Schneeball, als Schneemann in ein absurd lächerliches, verharmlosendes Kostüm gesteckt, als meterhohe den Weg blockierende Verwehung, als Matsch, durch den man mehr watet als läuft, als zum Einsturz vorherbestimmtes verlogene Gastlichkeit vortäuschendes Iglu und in jeder Form, die ihr euch sonst noch ausdenken könnt. Ich hasse ihn! Während des Schneefalls laufe ich mit schmerzverzerrtem Gesicht, wobei das Schmelzen des Schnees auf bereits nicht mehr körperwarmen Visage dafür sorgt , daß das Eiswasser unter meine Dreilagenrüstung kriecht. Und wer glaubt, Laufen im Sommer sei anstrengend, der ist noch nie durch Schnee gelaufen. Das schwere Herausziehen des Fußes aus dem Schnee läßt dich wie Scott nach dem Erreichen des Südpols fühlen. Geschlagen und besiegt kämpft man nur noch ums Überleben und hat nicht mal mehr Hunde zum Essen an der Seite. Schnee ist auch wegen seiner Hinterhältigkeit so verhasst. Nur wenn er planiert oder geräumt wurde, kann man eben und rund laufen, sofern das im winter überhaupt geht. èberall sonst ist nie nur eine Art Schnee am Platz, so daß kein gleichmäßiges Laufen möglich ist, weil der Fuß sständig anders greift. Wem das noch nicht hinterhältig genug ist, dem sei erläutert, was der Schnee alles unter sich verstecken kann. Schlaglöcher, Äste und auch Eisplatten verbergen sich nur allzu gern unter der Schneedecke.

Kommen wir zu Eis. Eis ist der perfide Bruder des Schnees, der bereits böse geboren wurde. Ich spreche von der Ratsche, die durch ihre Hebelwirkung mit übermenschlicher Kraft und dank ihres mechanischen Rücklaufs mit tierischer Geschwindigkeit die Streckbank, auf der sich der Läufer in der Folterkammer des Winters befindet, noch weiter zieht. Viel mehr ist über Eis nicht zu sagen. Oder vielleicht doch: Eis ist so gemeingefährlich, weil es unberechenbar ist. Seine Glätte kann man erst dann beurteilen, wenn man es betritt und auf die Schnauze fällt. Eis besitzt die flexible Geschwindigkeit eines Raubtiers, weil es blitzartig entstehen kann. Eis ist grausam, weil es die Freude über geschmolzenen Schnee durch das Ändern des Aggregatszustands des Schmelzwassers zunichte machen kann und den so übertölpelten Läufer fies auslacht. Eis ist heimtückisch, weil es sich verstecken kann und erst dann gesehen wird, wenn die Augen bereits Bodenkontakt aufgenommen haben. Wie ein Tarnkappenbomber nutzt Eis dabei gerne seinen Verbündeten Dunkelheit als Verstärkung.

Sprechen wir also über Dunkelheit oder die Zange des Winters. Dunkelheit ist die Zange, mit der der Winter versucht, den Nagel zu ziehen, der die Holzfestung des Widerstands zusammenhält, die der Läufer noch besetzt. Es ist mir manchmal ein Rätsel, woher die Motivation kommt, bei Dunkelheit zu laufen. Letztendlich muß es die Liebe zum Laufen sein. Wenn ich sehe, wie häufig es mir im Winter nicht gelingt, mich nach Einbruch der Dunkelheit zum geliebten Laufen zu bewegen, muß es mehr sein. Man benötigt ein echtes Ziel. Doch der Winter schickt die Dunkelheit mit seinem Verbündeten Kälte ins Spiel. Als Läufer fühlt man sich wie ein einsamer Lanzenreiter, der nicht weiß, auf welche der beiden ihm entgegen kommenden Reiter er seine Gegenwehr richten soll. Das mag etwas übertrieben klingen – Laufen bei Dunkelheit und Kälte ist immer noch eine Frage der Disziplin, doch genau das ist der Punkt. Man muß sich zu den Läufen im Dunkeln zwingen. Sie machen keinen Spaß und wirken widernatürlich, ist die Dunkelheit doch der Sonnenindikator dafür, daß es Zeit ist, das Feld in Richtung zu verlassen und sich von den Strapazen des Tags zu erholen. Holt der Winter zur Duckelheit auch noch Eis aufs Schlachtfeld wird der Lauf nur eins – gefährlich.Ein Läufer, der bei diesen Bedingungen unterwegs ist, kann keinen Respekt vor der eigenen Gesundheit haben.

Hallo zurück liebe Läufer!

Die vorherigen Absätze dürften deutlich gemacht haben, daß es keinen guten Grund gibt, im Winter zu laufen. Warum also trotzdem? Drei (gute) Gründe gibt es doch. Der erste und schwerwiegenste ist die Sucht. Für viele Läufer ist Laufen schlicht zu einer Sucht geworden, der sie alles unterordnen und für die sie alle Widerstände in Kauf nehmen, genauso wie es einen Crack-Junkie nicht stört, daß er das Geld für seinen Stoff von seiner Mutter klaut oder verdient, indem er seinen Arsch hinhält. Der zweite Grund ist ein höheres Ziel, für das trainiert und das er mit einem methodischen Plan verfolgt, dem er alles unterordnet… Der dritte Grund ist, daß er seinem Körper mag, diesem etwas Gutes tun will, indem er läuft und ihn nicht eine Jahreszeit lang vor die Hunde gehen lassen will.

Widmen wir uns nur den Gründen zwei und drei, denn der erste ist einfach nur krank. (Bei dem zweiten bin ich mir nicht sicher.) Für Grund drei ließen sich natürlich Alternativsportarten empfehlen, doch gehen wir einfach davon aus, daß der Läufer weder ein Brett vor dem Kopf noch gerne unter den Füßen hat. Gehen wir weiter davon aus, daß er das Laufen wirklich liebt und nicht nur davon abhängig ist – das macht ihn nämlich verwandter mit Läufertyp zwei. Für das Erhalten eines guten körperlichen Zustands ist eine gewisse Methodik hilfreich. Gleichzeitig zielt die Methodik des Läufertyps zwei vor allem auf den Erhalt gewisser Grundfähigkeiten im Winter.

Hiermit sind wir bei dem Ziel meines Textes angekommen. Mir geht es darum, einen allgemeingültigen Trainingsplan für  den Winter aufzustellen – Schlagwort: „So viel wie möglich!“ Die Betonung liegt in diesem einen Halbsatz, mit dem mein Trainingsplan auskommt auf dem möglich. Das heiß, es entfalle Tempoeinheiten auf Eis. Wer darauf nicht verzichten will, soll sich Schlittschuhe kaufen. Es entfallen Ausdauerläufe über 20km oder 100 Minuten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Wer diese dennoch einstreuen will, soll mit seiner Apothekerin schon einmal in Verhandlungen bezüglich eines Mengenrabatts auf Grippostad eintreten. Läufertyp drei mag das Programm relativ verlockend finden und sich nur daran stoßen, daß ich dem Motto nicht noch den Zusatz „und gewollt“ hinzufüge. Doch auch er muß seinen inneren Schweinehund überwinden und bei Kälte und Dunkelheit laufen. Läufertyp zwei mag Angst haben, daß das Programm nicht fordernd genug ist. Ihm möchte ich noch einmal den Sinn des Wintertrainings in einem ganzjährigen Trainingsplan vor Augen führen. Das Wintertraining dient dazu, dich in eine Form zu bringen, mit der du dich in einen methodischen Aufbau auf deine Jahresziele begeben kannst, nachdem (!) das Wintertraining vorbei ist. Und drei Wochen Trainingspause wegen schwerer Erkältung oder drei Monate wegen Hüftbruchs werfen dich viel weiter zurück als eine verkürzte Trainingseinheit. „So viel wie möglich“ heißt für mich, auch dem inneren Schweinehund ein wenig nachzugeben, um ihm den vollständigen Sieg zu erschweren. Verschanzt man sich hinter drei, vier oder fünf Trainingseinheiten in der Woche, fällt einem die Abwehr deutlich leichter, als wenn man verzweifelt versucht, die Linie voller Breite von sieben Einheiten zu halten (zwei am Wochenende alleine sind zu wenig!). „So viel wie möglich“ heißt für mich auch den Umgebungsparametern des Winters nachzugeben. Dies darf jedoch keine bedingungslose Aufgabe sein. Man muß die Stärke des Gegners zumindest abtasten. Es wird also auch bei Schnee und Eis gelaufen. Es sei denn, es ist zu arg. Dann kann man auch bald wieder umdrehen und die Einheit guten Gewissens auch mal auf 30 Minuten verkürzen, doch die Laufklamotten werden angezogen, egal wie behaglich es in der gutgeheizten Bude sein mag.

Wem „So viel wie möglich“ ein zu kurzes Motto ist oder seine Vielschichtigkeit nicht begreift und noch ein paar markige Sätze als Quintessenz meiner Wintertrainingsphilosophie braucht – bitte:

„Krieg den Arsch hoch!“
„Akzeptiere das Wetter!“
„Pass dein Training dem Wetter an!“
„Sorge dafür, daß Du heil durch den Winter kommst!“
„Bleib auch mal sitzen!“
„Ganz schlechtes Wetter ist keine ganze Ausrede!“

Wer glaubt, mein Trainingsplan würde meine Einstellung zum Winter ändern, der sich versichert, daß dem nicht so ist. Ich hasse den Winter immer noch. Laufen im Winter macht auch so keinen Spaß,  es wird nur erträglicher und sorgt dafür, daß das Laufen außerhalb des Winters mehr Spaß macht, denn erstens fällt es leichter und zweitens weiß man dann, was man bereits alles durchgemacht hat.

4 Gedanken zu „Laufen im Winter“

  1. Ich hasse ihn auch ABGRUNDTIEF, aber eins sei dem Winter gelassen: das Anspruchsniveau sinkt rapide ab, und man kann sich wieder über die kleinen Dinge des Läuferlebens freuen. Aktuelles Beispiel vom heutigen Neujahrslauf: es taut, und ich kann mich bereits über die 50% der Hamburger Bürgersteige freuen, die schnee- und eisfrei sind, und ich freue mich wie blöd auf die restlichen Gehwege. Nicht, dass ich auf den ganzen vorausgegangenen Ärger nicht trotzdem bestens verzichten könnte…

    Frohes neues Jahr!

  2. Hi Daniela,
    ich wünsche Dir auch ein frohes Neues Jahr. Ich habe zwischen den Jahren ähnliches festgestellt. Die Bodenverhältnisse in Berlin und Österreich konnten nur schlechte Laune erzeugen. In Zürich ließ es sich auf den Gehsteigen und Wegen in der Ebene fast rund laufen. Mein Neujahrslauf führte mich trotzdem zweimal über den noch schneebedeckten Zürichberg. An mein Motto habe ich mich aber trotzdem gehalten und bin 500m vor Erreichen des Zürich-Sees umgedreht, damit der Lauf nicht zu lang wird.

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