14. Welt-Astra-Tag

Wie im letzten Jahr kam ich natürlich auch diesmal nicht um den Welt-Astra-Tag herum. Das von der Astra-Brauerei veranstaltete Festival ohne Freibier aber zum freien Eintritt und unter freien Himmel – was bei diesem Sommer natürlich kein Vorteil ist – offenbart für mich den einzigartigen Charme von St. Pauli.

Auch wenn es natürlich viel zu kurz greift, dies in einen Satz zu formulieren, will ich es noch kürzer mit den drei Worten „Größenwahn mit Augenzwinkern“ versuchen. Der Charme des Losers, der mit seinen letzten 100€ eine Lokalrunde schmeißt, besitzt eine Chupze, die der Stadtteil St. Pauli trotz aller Bemühungen von Investoren noch immer nicht verloren hat.

H-Blockx als Main Act für eine solche Party passen natürlich wie die Faust aufs Auge. Einerseits viel zu groß für so ein Festival, andererseits so abgehalftert wie Mickey Rourke in der Charles Bukowski Verfilmung Barfly kommt man sich als Zuschauer, der es gerade noch nicht in die Midlife-Crisis geschafft doch fast schon wie bei einem Baumarkt-Jubiläum mit Roland Kaiser vor, denn die Songs waren noch die gleichen wie in den 90ern, so daß man noch extrem textsicher war.

Aber es zeigt auch die Extraklasse von St. Pauli, daß trotz einer einstmals großen Band auf abgebrochenem Ast und trotz schlechtem Wetter eine Riesenstimmung war und die Band angefeuert vom Sponsor des Festivals noch einmal eine Riesenshow zeigte. Diese Seite werde ich von Hamburg echt vermissen, auch wenn ich es mit einzigartiger Weinfeststimmung eintausche.

Deswegen komme ich auch nicht umhin, ein paar Zeilen dem Sponsor zu widmen, wobei ich gestehen muß, daß ein anderer Grund der ist, daß mir die Idee ein Wochenende zuvor kam, als ich sagte, daß man über alles schreiben kann und folgendes als erstes meinen Augen begegnete.

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Du schaffst es nicht durchs Tor zur Welt
weil man Dich lieber hier behält
Du wirst nicht ins Ausland versandt
Deshalb bist Du dort auch nicht bekannt

Doch wer Dich hält in seiner Hand
und wem Du dann auch gefällst
für den bist Du dann das beste Bier der Welt
und er löscht mit Dir jeden Brand

Liebevoll nennen wir Dich Knolle
und kriegen uns wegen Dir in die Wolle
Denn bist Du erst einmal leer

brauchen wir einfach noch mehr
denn nur voll erfüllst Du Deine Rolle
und verbreitest Deinen Underdog-Flair

P.S. Mein Gegenüber konterte leicht süffisant, daß man sicher über alles schreiben kann, es deswegen aber noch lange nicht gut sein muß (kann). Auch ein Grund, wieso der Beitrag unter Motto abgelegt ist.

Birkweiler Rosenberg Sauvignon Blanc 2009

unterwegs verkostet:

Nase: grüne Noten, Apfel, Vanille
Mund: starke Säure, leichte Würze, mittelschwerer Körper, gute Länge, Gärkohlensäure, frisch, Apfel

sehr netter Wein, easy drinking, nicht unbedingt Sauvignon typisch, zum grünen Salat mit Räucherlachs in Joghurtsauce

Herkunft: Deutschland – Pfalz – Birkweiler Rosenberg
Jahrgang: 2009
Rebsorte: Sauvignon Blanc
Erzeuger: Siener Dr. Wettstein (nicht zu verwechseln mit Siener)
Ausbau:QbA trocken

Kraut Wine Riesling 2008

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Der nächste Wein, den ich wegen dem Etikett gekauft habe. Das Weingut Tesch widmet diesen Wein der Roten Gourmet Fraktion. So ganz erschließt sich mir der Zusammenhang zum Wein nicht, aber das Weingut ist für seine unkonventionale Namensgebung bekannt. Schon lange gibt es den „Riesling unplugged“ quasi Riesling pur, wenn man so will. Der „Deep Blue“ soll an die Urzeitmeere erinnern, von denen die Böden des Weinbergs geprägt sind. Vielleicht ist das der Brückenschlag zum „Kraut Wine“, der sich auf die Ernährung an Bord deutscher Seefahrer bezieht. Letztendlich kann man Etiketten natürlich nicht trinken, aber ich finde es durchaus schön, wenn sie zum Schmunzeln anregen.

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Der Wein hat eine glanzhelle Farbe mit gelbem Einschlag. Einige Perlen zeigen sich am Glasrand. Die erste Nase ist durchaus intensiv und duftet nach Kräutern. Nach dem Schwenken nimmt die Intensität weiter zu. Neben Kräutern duftet der Wein nach Tabak.

Der Wein besitzt viel Frucht, ohne dabei süß zu wirken. Ich schmecke Birne, Graipefruit und Pfirsich heraus. Er wirkt ziemlich saftig und verfügt über eine gute Dichte. Dazu ist er sehr würzig und leicht bitter.

Ein sehr schöner, charaktervoller Wein, der erstklassig gemacht ist. Ein unkompliziertes und doch zugleich hochwertiges Trinkvergnügen. Zum Kassler in Senfsauce – mit Sauerkraut…

Herkunft: Deutschland – Nahe
Jahrgang: 2008
Rebsorte: Riesling
Erzeuger: Weingut Tesch
Ausbau: QbA trocken
Alkohol: 12,0%

Playboy Red Wine 2008

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Playboy ist unter die Weinproduzenten gegangen. Genauer gesagt produziert die große Kellerei Peter Mertes einen Wein, der mit dem Logo und Namen des Häschenblatts produziert wird. Den Wein gab es zum Einführungspreis von 2,99€  im Supermarkt. Bei Einführung und Playboy denke ich natürlich eigentlich an andere Praktiken. Wenn der Beitrag schon so anfängt, frage ich mich wie tief ich heute noch im Niveau sinken will. Besser ich widme mich dem Wein.

Der Wein hat eine helle kirschrote Farbe. Die Farbtiefe ist mäßig ausgeprägt und geht in ein Purpurrot über. Anfangs duftet der Wein nach Brombeeren, Cassis und Brotrinde. Nach dem Schwenken nimmt die Intensität weiter zu. Cassis, Paprika und Pfeffer kommen im Bukett vor. Die Viskosität ist ordentlich ausgeprägt.

Nachdem die Nase ja sehr ordentlich war, wirkt der Geschmack doch eher enttäuschend. Der Wein besitzt einen mittelschweren Körper. Eine leichte Säure paßt nicht gut zum bitteren Grundton. Auch die Frucht wird von den Tanninen, die einen merkwürdigen Gummicharakter haben, konterkariert. Der Nachhall besitzt eine ordentliche Länge.

Nach dem Riechen dachte ich, daß man hier tatsächlich Wert auf einen sehr ordentlichen Wein gelegt hat, doch ich muß gestehen, daß mir der Wein nicht gefällt. Profiköche sagen ja, daß man zum Kochen nur gute Weine nehmen soll, dennoch ist es der erste Verwendungszweck, der mir zum Wein einfällt.

Bei diesem Wein komme ich natürlich nicht umhin, noch einmal auf das Etikett einzugehen. Ich finde es ja erstaunlich, wie sehr sich Kleidung und weitere Accessoires mit dem Hasenlogo verkaufen. Interessanterweise sind die Käufer primär Frauen. Vielleicht ist das auch die Schnittmenge, in der dieser Wein einschlagen will, weil wohl vor allem Frauen die Käufer von Weinen im Supermarkt sind. Doch es wäre für den Playboy ein Einfaches, eine ganze Kollektion an Weinen an den Markt zu bringen mit dem Konterfei der Playmates des Monats. Männer würden sich um diese Flaschen reißen, und jeder Jahrgang hätte ein individuelles Bild. Mouton Rothschild würde vor Neid erblassen. Etiketten von Miro, Chagall, Warhol oder Picasso kann ja jeder entwerfen lassen, aber die Playmates hat nur der Playboy. Die Qualität des Weins wäre auch beinahe egal. Die Männer würden die Flaschen auch so sammeln. Aber das ist nur meine einfache Meinung.

Herkunft: Deutschland – Pfalz
Jahrgang: 2008
Rebsorte: Cabernet Sauvignon
Erzeuger: Peter Mertes
Ausbau: QbA trocken
Alkohol: 13,0%

Auf der Mauer Riesling 2009

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Die Farbe des Weins liegt zwischen glanzhell und strohgelb. Anfangs duftet er mäßig intensiv nach Zitrusaromen. Nach dem Schwenken nimmt die Intensität deutlich zu und wird vielschichtig. Etwas Vanile, eine feine Würze sowie Zitrusaromen und nasser Stein bestimmen jetzt das Bukett.

Auch am Gaumen nutzt der Wein den gesamten Raum des Spielfelds. Der Wein besitzt eine gute Dichte, die durch seine Saftigkeit noch unterstützt wird. Das Ganze spielt mit einer feiner Mineralik zusammen, so daß eine schöne Mischung aus Opulenz und Filigranität entsteht. Daneben kommt eine feine Würze ins Spiel. Das alles verbindet sich zu einer exzellenten Harmonie.

Vielleicht ist das noch kein großer Wein, aber viel fehlt nicht dazu. Man soll bei einem solchen Wein aber nicht nach dem suchen, war vielleicht noch zur Perfektion fehlt, sondern sich an dem freuen, was er ins Glas stellt. Und das ist wahnsinnig viel. Ein zurecht gehypter Wein, der außerordentlich gut gemacht ist und einen Riesenspaß macht. Es mag erstaunen, wenn ich einen sohervorragenden Wein zu einem eher einfachen Essen wie Matjessalat empfehle, aber ich glaube das könnte passen.

Herkunft: Deutschland – Pfalz
Jahrgang: 2009
Rebsorte: Riesling
Erzeuger: Bassermann-Jordan
Ausbau: QbA trocken
Alkohol: 13,0%

Unterwegs verkostet

Herkunft: Deutschland – Pfalz – Maikammer Heiligenberg
Jahrgang: 2009
Rebsorte: Riesling
Erzeuger: Faubel
Ausbau: Kabinett trocken

Der Wein hat einen intensiven Pfirsichduft, der von leichten Zitrusnoten begleitet wird.
Am Gaumen wartet er mit einer knackigen Säure auf, die aber akzeptabel ist, da er zugleich über viel Frucht verfügt. Gärkohlensäure läßt ihn etwas prickeln. Dazu kommt ein würziger Abgang, der eine gute Länge besitzt.
Das ist ein rustikaler Wein, der als Sommerwein herrlich einsetzbar ist. Auch durch die Säure lassen sich viele Einsatzmöglichkeiten ausdenken, etwa zu Käsespätzle oder zur Vesper.

Herkunft: Deutschland – Pfalz
Jahrgang: 2009
Rebsorte: Scheurebe
Erzeuger: Pfeffingen
Ausbau: Spätlese trocken

Der Wein duftet nach nassem Stein und sehr würzig.
Am Gaumen zeigt er sich sehr vollmundig mit einem kräftigen Körper. Er besitzt viel Frucht und eine leichte Muskatnote. Eine feine Herbe kann nicht als feinherb bezeichnet werden, weil der Begriff dermaßen mißbraucht wurde und dies durchaus ein trockener Wein ist. Es ist nur eine leichte Säure vernehmbar. Er besitzt eine ordentliche Länge.
Das ist sicherlich der feinere der beiden Weine, auch wenn der einfache Riesling vielleicht sogar noch mehr Spaß machen kann. Diese sehr gute Spätlese könnte ich mir zu gebratenen Scampi vorstellen.

Weinrallye #36 Wein und Musik

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Wein und Musik sind das Thema der diesmaligen Weinrallye, die vom WeinReich-Blog Rheinland-Pfalz ausgerufen wurde. Als erstes denke ich dabei daran, welcher Wein zu welcher Musik getrunken wird.

Wenn ich ich an meine Lieblingsmusik denke, frage ich, welcher Wein paßt zu David Bowie? Zu diesem Chamäleon der Musikgeschichte brauche ich wohl einen wechselhaften Wein. Klingt nach Riesling. Doch wie verhindert man, daß man die falschen Seiten verbindet? Etwa ein schweres Großes Gewächs, das man beobachten und aufsaugen will, zu eingängigen Popsongs a la China Girl oder Let’s dance, die einfach nur zum Tanzen anregen und daher eher nach einem Sekt verlangen. Wie im Restaurant den Sommelier, der Wein und Essen und idealerweise auch die Kombination kennt, bedarf es auch hier einen Experten auf beiden Seiten. Den DJ?

Ich wechsle die Musik. Franz Ferdinand „The dark of the matinee“ Schottischer Wein? Besser nicht! Also ein Österreicher? Aber einer der nach Verzweiflung, Untergang und Tod schmeckt. Also einer aus dem Jahr des Glykolweinskandals. Dürfte nur noch schwer zu bekommen sein. Außerdem wird das weder dem unschuldigen Thronfolger noch der Musik gerecht. Vielleicht doch eher ein Wein, der nach Sehnsucht schmeckt. Ein restsüßer Mosel Kabinettwein?

Ich wechsle die Musik. Duffy „Mercy“. Ein gnädiger Wein? Ein Wein mit Soul? Soul ist ehrliche Musik, die pur und rein ist. Das klingt wie Muskateller, der reinste Wein. Aber Soul ist auch kratzig, rau und dunkel. Jetzt bin ich bei einem Süditaliener. Einem Negroamaro, einen Primitivo oder einen Nero d’Avola? Nero d’Avola schmeckt zu sehr nach Mafia. Ich nehme dem einfachen Primitivo.

Ich wechsle die Musik. Vielleicht sollte ich doch eher die Musik an den Wein anpassen und nicht umgekehrt.

Ich mache die nächste Flasche auf. Dazu kommt Udo Jürgens „Griechischer Wein“. Der Retsina schmeckt nach Harz und weckt die wehmütigen Erinnerungen an eine properierende Wirtschaft mit einer stabilen Währung, bevor man zur wirtschaftlichen Absicherung der Daheimgebliebenen als Gastarbeiter die Reisefreiheit der EU nutzte und bei einem einsamen Syrtaki mit der jungen Bedienung an einen ordentlichen, anständigen Rotwein von Santorin denkt.

Ich mache die nächste Flasche auf. Dazu erklingt Nancy Sinatra „Summer wine“. Verwundert blicke ich aufs Etikett und entdecke schon wieder einen Riesling mit knackiger Säure und etwas Zitrusfrucht. Vielleicht hätte ich doch eher einen Vinho verde aufmachen sollen. Andererseits sind wir wieder in der Gegend eines dahin gehauchten Souls. Ein Trollinger? Vielleicht doch ein Vernatsch? Wer bei den derzeitigen Temperaturen grillen will, sucht eher einen kräftigen aber einfachen Wein. Ein Minervois oder ein Grenache? Da komme ich zum Cotes du Rhone.

Ich mache die nächste Flasche auf. Mein Kopf nickt zu Ub40 „Red red wine“ Wer den Text genauer lauscht, wird nach Sangria und Strohhalmen verlangen, doch den Text hört man nur an Regentagen, und selbstverständlicherweise haben wir heute schon um 11 Uhr morgens 31°C. Also ein Rosé. Gekühlt oder nicht, ist fast schon egal. Ich tue sogar noch Eiswürfel ins Glas und genieße das Vibrieren des auf der Box stehenden Glases.

Ich drücke auf Repeat.

Ungsteiner Weilberg Riesling 2007

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Der Wein hat eine strohgelbe Farbe. Einige winzige Perlen zeigen sich an seiner Oberfläche. Die erste Nase wechselt merkwürdig zwischen intensiv und verhalten. Ausdrucksvolle Tabak- und Kräuternoten kommen, verlieren sich aber auch schnell in der Nase. Die zweite Nase ist intensiv und von kräftigen Noten geprägt. Tabak, Mineralik und etwas Graipefruit sind zu erkennen.

Geschmacklich fällt vor allem auf, wie schwer und dicht der Wein wirkt. In dem schweren Körper gehen die diffizilen Geschmackskomponenten fast etwas unter. Die kräftige Würze kann bestehen, aber die leichte Säure läßt sich nur schwer identifizieren. Der Nachhall besitzt eine gute Länge.

Ich muß gestehen, es fällt mir schwer, die Größe dieses Gewächses zu erkennen. Der Geruch ist toll und wirkt sehr erforschenswert, aber der Geschmack bietet abseits der Kraft eher ein Bild der Beliebigkeit um es bösartig zu übertreiben. Auf jeden Fall ein sehr guter Wein, aber eigentlich zu wenig für ein großes Gewächs. Zum gegrillten Längsfisch.

Herkunft: Deutschland – Pfalz – Ungsteiner Weilberg
Jahrgang: 2007
Rebsorte: Riesling
Erzeuger: Weingut Pfeffingen
Ausbau: Qba trocken – Großes Gewächs
Alkohol: 13,5%

Westhofener Kirchspiel Gewürztraminer 2007

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Der Wein hat eine strohgelbe Farbe. Ein paar kleine Trubperlen lösen sich sehr schnell auf. Die erste Nase ist intensiv. Prägend ist vor allem eine Lycheenote. Daneben kommen ein Rosenaroma und eine leichte Würze ins Spiel. Die zweite Nase gewinnt zusätzlich an Intensität. Neben Lychee rieche ich jetzt auch Ananas.

Am Gaumen fällt insbesondere eine deutliche Bitternis auf. Er hat einen mittelschweren Körper. Frucht und Säure sind eher zurückhaltend. Dafür wirkt der Wein sehr würzig. Der Nachhall besitzt eine sehr gute Länge. Ein angenehmes Prickeln erinnert mich doch eher an Mineralik als an Kohlensäure.

Die Bitternis verleiht dem Wein etwas Medizinales. Positiv an dem Wein fallen seine Vielschichtigkeit und sein Duft auf. Aber er wirkt nicht vollständig harmonisch. Das Medizinale wirkt sogar störend. Zu einer Quiche Lorraine.

Herkunft: Deutschland – Rheinhessen – Westhofener Kirchspiel
Jahrgang: 2007
Rebsorte: Gewürztraminer
Erzeuger: Weingut Hirschhof
Ausbau: Kabinett trocken
Alkohol: 12,5%

Hafenklang und harte Küsse

Das Schiff tutete erneut. Paul wußte, was das Zeichen zu bedeuten hatte. Es war Zeit. Er löste sich leicht aus der Umarmung, um Krista in die Augen zu schaun. Während sie die Hände an seiner Taille ließ, hielt er ihre kräftigen Oberarme.

Paul war leicht überrascht, so etwas wie Wehmut aus ihren Augen zu lesen. Er hatte gedacht, daß es für sie leichter wäre. Schließlich war er es gewesen, der sich vollkommen auf sie eingelassen hatte, sich ihr bedingungslos untergeordnet und all ihre Launen ertragen hatte. Empfand sie am Ende mehr für ihn? Merkwürdigerweise war er davon ausgegangen, für sie nur Manövriermasse gewesen zu sein, die man bei Bedarf einfach austauscht. Gerade diese Labilität ihrer Beziehung hatte ihn auch die extremen Spiele mitmachen lassen, um sie wie einen perfekten Sommertag bis zum Sonnenuntergang auszukosten.

„Nicht weinen, Gefreiter Habermann.“

Paul wußte nicht, warum ihm beim Klang von Kristas barscher Stimme gerade jetzt die Frage durch den Kopf schoß, ob es seine Vorliebe für dominante Charaktere war, die ihn zum Bund getrieben hatte. Er erinnerte sich an Kommentare seiner Mitschüler, die verweigerten, weil sie sich nicht den ganzen Tag Befehle entgegen brüllen lassen wollten. Ihn hatte das nicht gestört.

Weder er noch Krista hatten es an die große Glocke gehängt, daß sie zusammen waren, aber vollkommen verheimlichen ließ sich das natürlich nicht. Paul mußte sich viel Häme und anzügliche Sprüche gefallen lassen, doch er tat, als würde er das ignorieren.

Wahrscheinlich war das die einzige Art und Weise, mit so etwas umzugehen. Er hatte in der Zeitung von einem Schulausflug gelesen, bei dem sich ältere Schüler an den Jüngeren vergangen hatten, und er war sich bewußt, daß auf seiner Stirn in ganz großen Lettern „Opfer“ geschrieben stand. Diese Gefahr war jetzt immerhin überstanden. Seine vermeintlichen Kumpane hatten einfach zu viel Angst vor Krista gehabt.

Paul meinte auch jetzt ihre gaffenden Blicke auf sie gerichtet zu spüren, doch es war ihm egal. So schnell würde er keinen von denen wiedersehen. Jetzt konnte ihm nichts mehr passieren. Er nahm Krista die Mütze vom Kopf und strich ihr sanft über ihre blonden Haare. Sie lächelte schwach.

„Es ist Zeit.“

Paul zögerte. Zum ersten Mal meinte er etwas Unsicherheit in ihrer Stimme zu hören. Er konnte kaum glauben, wie schwer ihr der Abschied fiel. Wie hatte er es nur geschafft, eine so tiefe Beziehung zu ihr aufzubaun? Was machte ihn für sie so attraktiv? Lag es an seinem ungekünsteteln Respekt und seinem bedingungslosen Gehorsam? Das wäre wohl zu wenig gewesen. Schließlich hatte Krista durchaus Spaß daran, Leute zu etwas zu zwingen und grausam zu sein. Vielleicht lag es daran, daß er in ihr nicht nur die brutale Bestie sondern auch die bildhübsche Frau sah und daher keine Angst vor ihr hatte.

Was sollte er jetzt nur ohne sie machen? Sie würden für eine längere Zeit getrennt sein. Das Schiff würde erst in zwei Monaten wieder anlegen und das auch noch in Santiago de Chile. In der Zwischenzeit konnte so viel passieren, daß es besser war, sich dort nicht zu verabreden. Ob sie sich dann überhaupt noch an ihn erinnern würde?

Krista schien sich wieder gefaßt zu haben. Sie löste sich vollständig aus der Umarmung und setzte sich die Mütze wieder auf. Nur kurz mußte sie die Lippen noch einmal zusammenpressen, bevor sie wieder endgültig die alte Krista war.

„Es ist Zeit. Verabschiede dich.“

Paul schwang sich mit der Linken den Seesack über die Schulter, nahm Haltung an und salutierte.

Etwas enttäuscht, daß von ihr keine Reaktion kam, drehte er sich um und ging auf die Gangway zu. Er war keine drei Schritte gegangen, als er Krista hörte.

„So verabschiedet man sich doch nicht.“

Als er dich umdrehte, war sie ihm auch schon entgegen gekommen und küßte ihn lange mit entschiedener Härte. Als sie die Hände von seiner Schulter und seinem Po nahm, lächelte sie ihn noch einmal an und gewährte ihm einen Blick auf ihre in dieser Sekunde vollkommene Schönheit.

Von Glück beseelt setzte Paul seinen Weg fort. Er schaute nicht mehr zurück. Es war klar, daß dies ein finaler Abschied war. Zurück an Land ließ er  am Pier seinen Sack fallen und umarmte seine dort wartenden Eltern, die ihn etwas verdutzt anblickten.